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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Antonio Hill
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Sohn nickte. Während er ihm nachsah, wie er barfuß in sein Zimmer ging, dachte er daran, wie schwer es war, ohne Ruth Vater zu sein. Guillermo war noch keine fünfzehn, aber manchmal hätte man meinen können, er sei viel älter. In seinem Gesicht lag eine verfrühte Ernsthaftigkeit, die Héctor mehr wehtat, als er sich eingestehen mochte. Er nahm einen tiefen Zug an der Zigarette, und ohne dass er wusste, warum, drückte er die Fernbedienung. Er konnte sich nicht mal erinnern, was er am Abend eingelegt hatte. Bei den ersten Bildern, diesem schwarz-weißen Standfotovon Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg, wusste er es wieder: Außer Atem . Ruths Lieblingsfilm. Ihm war nicht danach, ihn noch einmal zu sehen.
    Zehn Stunden vorher, im Sprechzimmer des Psychologen, hatte Héctor die weißen Wände angestarrt, Wände eines Raums, den er gut kannte, und ihm war ein wenig unbehaglich gewesen. Wie üblich nahm der Typ sich Zeit, bevor er mit der Sitzung begann, und Héctor hatte immer noch nicht herausgefunden, ob diese schweigsamen Minuten dazu dienten, seinen Gemütszustand einzuschätzen, oder ob sein Gegenüber einfach nur schwer in die Gänge kam. An diesem Morgen jedenfalls, sechs Monate nach seinem ersten Besuch, war Inspektor Salgado nicht in Wartelaune. Er räusperte sich, schlug die Beine übereinander und nahm sie wieder herunter, bis er sich schließlich vorbeugte und sagte:
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir anfangen?«
    »Natürlich nicht.« Und er sah von seinen Unterlagen auf, auch wenn er nichts weiter hinzufügte.
    Er saß schweigend da, befragte den Inspektor mit dem Blick. Er machte einen zerstreuten Eindruck, und zusammen mit seinem jugendlichen Gesicht erinnerte er an eins dieser Wunderkinder, die mit sechs Jahren komplizierte Gleichungen lösen, aber keinen Ball treten können, ohne auf die Nase zu fallen. Ein falscher Eindruck, das wusste Héctor. Der Junge war ein müder Schütze, gewiss, aber wenn er mal schoss, traf er ins Schwarze. Die Therapie jedenfalls, die als dienstliche Auflage begonnen hatte, war für ihn zu einem Routinetermin geworden, zuerst wöchentlich, dann alle vierzehn Tage, danach hatte er sie aus freien Stücken fortgesetzt. So dass er an diesem Morgen, genau wie er es gelernt hatte, tief durchatmete, bevor er antwortete:
    »Entschuldigen Sie. Der Tag hat nicht besonders gut angefangen.« Er lehnte sich zurück und sah in eine Ecke. »Und ich glaube nicht, dass er viel besser endet.«
    »Schwierigkeiten zu Hause?«
    »Sie haben keine halbwüchsigen Kinder, oder?« Es war eine absurde Frage. Um einen Sohn in Guillermos Alter zu haben, hätte sein Therapeut mit fünfzehn Jahren Vater werden müssen. Er schwieg, dachte nach, und in mattem Ton fuhr er fort: »Aber das ist es nicht. Guillermo ist ein guter Junge. Das Problem ist, glaube ich, dass er nie Probleme gemacht hat.«
    Das stimmte. Und auch wenn viele Eltern über einen solchen äußerlichen Gehorsam froh gewesen wären, beunruhigte Héctor, was sich dahinter verbarg, denn was im Kopf seines Sohnes vorging, war ein Geheimnis. Nie beklagte er sich, seine Schulnoten waren leidlich, und seine Ernsthaftigkeit hätte Jungs, die verrückter oder verantwortungsloser waren als er, ein Beispiel sein können. Héctor merkte jedoch, besser gesagt, er ahnte, dass hinter dieser völligen Normalität etwas Trauriges steckte. Guillermo war immer ein ruhiges Kind gewesen, doch jetzt, voll in der Pubertät, war er zu einem introvertierten Jungen geworden, dessen Leben sich, wenn er nicht in der Schule war, hauptsächlich in den vier Wänden seines Zimmers abspielte. Er sprach wenig, hatte nicht allzu viele Freunde. Letzten Endes, dachte Héctor, ist er gar nicht so anders als ich.
    »Und Sie, Inspektor, wie geht es Ihnen? Können Sie immer noch nicht schlafen?«
    Héctor zögerte, bevor er es zugab. Bei diesem Thema waren sie sich nicht einig geworden. Nach mehreren Monaten der Schlaflosigkeit hatte der Psychologe ihm leichte Schlafmittel empfohlen, die zu nehmen er sich jedoch weigerte. Zum Teil, weil er sich nicht an sie gewöhnen wollte; zum Teil, weil sein Kopf gerade in den frühen Morgenstundenauf Hochtouren lief, und er wollte nicht auf seine produktivsten Stunden verzichten. Außerdem zog ihn der Schlaf in ungewisse Bereiche, und das waren nicht immer die angenehmsten.
    Der junge Mann ahnte, was es mit seinem Schweigen auf sich hatte.
    »Sie machen sich unnötigen Stress, Inspektor. Und ohne es zu wollen auch den Menschen in
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