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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz
Autoren: David Ignatius
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handgemalten Bannern zu Ehren der Märtyrer Neonreklamen für Nokia und Hyundai blinkten, stieg der Mann aus und suchte sich einen Laden, der westliche Elektronikprodukte verkaufte. Dort erstand er einen Speicherriegel für seinen Laptop, einen US B-Stick und einige Computerprogramme, die in Armenien illegal kopiert und per Lastwagen über die Grenze geschmuggelt worden waren. Nachdem er die Sachen in seiner Aktentasche verstaut hatte, verließ er den Laden und ging die Bahar-Shiraz-Straße entlang bis zur übernächsten Querstraße. Erst da stieg er wieder in ein Taxi.
    Draußen auf den Straßen liefen die Frauen wie üblich an heißen Sommertagen in Pseudo-
Hijabs
herum. Sie schobenihren Tschador so weit nach hinten, dass man ihr volles Haar in der Sonne glänzen sah, und loteten damit aus, wie weit sie gehen konnten, ohne eine Zurechtweisung von den Revolutionswächtern zu riskieren. Auch bei den langen Mänteln gab es in diesem Jahr eine neue Mode: Manche Frauen trugen sie in der Taille enger geknöpft, was zusammen mit einem Push-up-BH aus der Türkei sehr viel mehr von ihrer Figur erahnen ließ. Die jungen Männer mit Sonnenbrillen und billigen Lederjacken fuhren auf ihren Motorrädern an ihnen vorbei und glotzten sie an, wohl wissend, dass sie sie nicht berühren und niemals besitzen durften. Fußgänger wuselten wie Wasserkäfer quer über die Fahrbahn und entkamen dabei den heranrasenden Autos nur um Haaresbreite.
    «Möchten Sie vielleicht Musik hören?», fragte der Taxifahrer diensteifrig und musterte seinen Fahrgast dabei im Rückspiegel. Der junge Wissenschaftler gab keine Antwort. Er wollte nicht reden, denn er war mit seinen Gedanken gerade ganz woanders. Die Frau des Fahrers schimpfte mit gackernder Stimme über die teuren Melonen auf dem Markt, während der Fahrer sich über die miserablen Fußballer des FC Esteghlal ausließ und dabei auf Zustimmung seitens des Fahrgasts spekulierte. Ja, sie spielen fürchterlich, sagte der Wissenschaftler. Die jungen Spieler können überhaupt nichts. Sie spielen wie Hunde oder wie Frauen. Oder noch schlimmer: wie Araber.
     
    Wie lange hatte der junge Mann sich das, was er jetzt tat, nun schon überlegt? Ein Jahr lang bewusst, und unbewusst vielleicht schon, seit er erwachsen war. Von außen merkte manes ihm nicht an, da war er sich sicher. Ansonsten hätte man ihm doch niemals den Zutritt zu den geheimen Bezirken in Jamaran gestattet und ihm ein Büro in dem namenlosen weißen Gebäude gegeben.
    Das war ihr Schwachpunkt. Sie misstrauten praktisch jedem, aber auf irgendwen mussten sie sich dann doch verlassen, und dabei konnten sie sich niemals sicher sein, ob derjenige ihres Vertrauens auch würdig war. Sie sagten, sie vertrauten auf Gott, doch das allein genügte ihnen nicht. Also hatten sie Gottes Geheimpartei erfunden, die göttliche Verschwörung, in die sie auch den jungen Wissenschaftler eingeweiht hatten. Bisher hatte er sich als extrem loyal erwiesen, bis er sich schließlich den Gedanken an Illoyalität erlaubt hatte. Dieser Gedanke war in ihm immer stärker geworden, und eines Tages hatte er dann sein ganzes Denken beherrscht. Die Grenze zwischen Loyalität und Illoyalität hatte aufgehört zu existieren.
    Direkt am Fereshteh-Platz ließ sich der junge Mann von dem Taxi absetzen. Die Tatsache, dass das Innenministerium keine achthundert Meter von hier entfernt war, amüsierte ihn. Wenn man sich ihnen schon widersetzte, dann sollte man das direkt vor ihren Augen tun. Er ging mit seiner Aktentasche zu einer Villa an der Khosravi-Straße, in der sein Onkel Jamshid im ersten Stock ein kleines Firmenbüro besaß. Der junge Mann half ihm hin und wieder bei Korrespondenz und Abrechnungen, weshalb er freien Zugang zu den Räumlichkeiten hatte. Vor ein paar Monaten hatte er hier einen Computer aufgestellt und auf den Namen seines Onkels einen Internetanschluss eingerichtet. Manchmal kam er am späten Nachmittag ins Büro, machte die Buchhaltungund schickte E-Mails an die Lieferanten seines Onkels im Iran sowie in Dubai und der Türkei. Eine der iranischen Firmen hatte ihren eigenen Internetserver, der nicht besonders gut gegen Hackerangriffe geschützt war. Es fiel dem jungen Mann nicht schwer, diesen Server so zu manipulieren, dass er darüber Mails verschicken konnte, die in Wirklichkeit von ihm stammten. Und weil der junge Mann viel von Computern verstand und genau wusste, wie er seine digitalen Spuren verwischen musste, konnte niemand feststellen, was er
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