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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk
Autoren: Eric Ambler
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gelänge Ihnen, auch nur einen Menschen von der fantastischen Wahrheit zu überzeugen.
    Indes«, fuhr er fort, »bin ich überzeugt, daß Sie nicht ablehnen werden, Professor. Zuviel steht auf dem Spiel. Stellen Sie sich doch die Konsequenzen für Europa vor, wenn dieser drittrangige Staat durch eine Laune des Schicksals absolute Macht erhält. Macht ist für die Mächtigen. Geben Sie den Schwachen Macht in die Hand, und Sie haben Tyrannei. Hier ist Ihre Chance, Professor, nicht nur der Wissenschaft, sondern der ganzen zivilisierten Menschheit einen Dienst zu erweisen. Sie werden sehen, daß der Lohn die Mühe wert ist.«
    Der Professor erhob sich mit entschlossener Miene und sagte sehr deutlich:
    »Mr. Groom! Im Verlaufe unseres Gespräches habe ich geäußert, daß sich die Wissenschaft nicht ausbeuten lassen sollte. Und das habe ich genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Sie wünschen meine Mitarbeit bei einem Unternehmen, von dem Sie sagen, daß es der Wissenschaft und der zivilisierten Menschheit diene. Darf ich Sie korrigieren? Dieses Unternehmen nützt nur einer ganz kleinen Minderheit, nämlich den Aktionären von Cator & Bliss. Wenn das, was Sie mir erzählt haben, wahr ist und dieser hirnverbrannte Kassen seine Fähigkeiten destruktiv statt konstruktiv verwendet, dann ist das eine Angelegenheit, die die ganze Menschheit angeht. Meine Antwort auf Ihren Vorschlag lautet ›Nein‹.«
    Groom lachte.
    »Habe ich recht mit der Annahme, Professor, daß Sie die Absicht haben, dem Völkerbund von unserem Gespräch Mitteilung zu machen?«
    »Sie hatten ja die Liebenswürdigkeit«, gab der Professor zur Antwort, »mich daran zu erinnern, daß ich Ihnen mein Wort gegeben habe, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln. Aber es würde mir ja sowieso keiner glauben, wenn ich mein Wort brechen würde. Übrigens, um ganz ehrlich zu sein, hoffe ich, daß dies alles nur ein unangenehmer Träum war und ich bald erwache.«
    Groom seufzte.
    »Ach, Professor«, murmelte er, »ich wollte, wir könnten alle so gut Realität und Phantasie vermengen. Mir persönlich scheinen ethische Fragen immer nur Fragen des Standpunktes zu sein. Und so hoffe ich denn immer noch, daß Sie sich in dieser Sache auf meinen Standpunkt stellen werden.«
    Professor Barstow vergaß einen Moment seine gute Erziehung.
    »Da können Sie aber verdammt lange warten, Mr. Groom«, sagte er in festem Ton.
    Groom erhob sich langsam. Seine Lippen lächelten, aber seine Augen waren zu Nadelspitzen kalter Wut geworden und bohrten sich gnadenlos direkt in das müde Gehirn des Professors. Seine Stimme tönte wie von weit her.
    »Ganz wie Sie wollen, Professor, ich denke nicht daran, Ihr ›Nein‹ zu akzeptieren. In den nächsten Tagen wohne ich im Hotel Ritz in Paris. Ich fliege heute abend. Sollten Sie Ihre Ansicht ändern …«
    Aber der Professor hörte nichts mehr, er stand wie betäubt da, sein Gehirn war leer, und er spürte nur noch das Schlagen seines Pulses. Mit letzter Kraft riß er sich zusammen, aber als er endlich wieder aufsah, war Groom gegangen.
    Er sank in seinen Stuhl und griff nach seinem Kaffee; er war kalt geworden, und so blieb er sitzen, den Kopf in die Hände gestützt und schaute aus dem Fenster.
    Der Himmel war bedeckt, und es fiel ein leichter Regen. Aus der totalen Verwirrung seiner Gedanken schälte sich der intensive Wunsch heraus, die Abfahrt nach Truro zu verschieben. Wieder hatte er das Gefühl, daß er gerade aus einem Alptraum erwacht war. Das Blut hämmerte in seinem Kopf, als er sich erhob und den Speisesaal verließ. »Sollten Sie Ihre Ansicht ändern …« Grooms letzte Worte paßten sich dem Rhythmus seines Herzens an. Der Professor schüttelte sich. Er begann die Kontrolle über sich zu verlieren. Ohne zu wissen, was er tat, stolperte er durch die Hotelhalle in den leeren Aufenthaltsraum.
    Im Kamin knisterte ein großes Holzfeuer, und er setzte sich in einen bequemen Sessel davor. Die Wärme, die Bequemlichkeit, das gute Essen, die Müdigkeit, alles lud zu einem Nickerchen ein. Aber das überreizte Gehirn ließ den Professor nicht zur Ruhe kommen. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder und immer wieder eine Schreckensszene.
    Er lag auf einem Hügel. Unten im Tal, inmitten von Blumen, spielten Kinder. Der Wind trug ihre dünnen, schrillen Stimmen zu ihm herauf. Dann bemerkte er, daß die Kinder nicht allein waren. Ganz in ihrer Nähe, in einer Senkung, waren Männer, Männer in Uniform, die sich eifrig über etwas zu
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