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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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das Große Orakel über das namenlose Tal unweit des Dorfes N zu befragen. Ich meide dieses Orakel inzwischen. Ist es doch nur das bisher letzte Kapitel einer infamen Geschichte. Dennoch rufe ich die Satellitenbilder auf. Und ich stelle fest, dass wegen der dichten Vegetation und der Felsüberhänge das Tal des Informanten von den Geosatelliten aus nicht zu sehen ist. Aus dem kleinen Flusslauf weiter oben aber kann man es sich erschließen.
    Ich hole mein Portemonnaie und finde darin einen zerknitterten Zettel, den ich lange Zeit beinahe vergessen hatte. Es handelt sich um jene Notiz, die ich Christians Papierkorb verdanke. Und ich löse ein Rätsel, jetzt, da ich vielleicht nicht mehr an dieser Lösung interessiert bin.
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    88-21-17 e
    27-37-05 n
    ?                
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    bezieht sich auf die vermuteten Koordinaten des Tals ohne Namen, in Grad, Minuten und Sekunden östlicher Länge (east) und nördlicher Breite (north), Koordinaten, die jedoch, wie ich jetzt behaupten kann, nicht ganz exakt sind. Und die richtigen, die richtigen.
    Der Gedanke, irgendjemand könnte sogleich wieder auf die Idee kommen, eine Route zu diesem Tal auszutüfteln, irritiert mich.
    Auch Entdecker können Räuber sein. Bald gibt es das andere nicht mehr. Ein unentrinnbares Netz hat sich über alles gestülpt. Nichts ist mehr möglich.
    Langsam erhebe ich mich, öffne die Tür auf meinen Balkon und sitze lange dort draußen in der sternenlosen Dunkelheit.
    Ich verdamme sie alle. Verfluchte Irre. Verfluchte Diebe. Verfluchtes Großes Orakel.

 
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    ANHANG

 
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    ANHANG I: DAS GELÄCHTER
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    Der Vollständigkeit halber sollen hier einige Auszüge aus Christian
     Fusts Eintragungen in sein letztes Notizbuch angefügt werden. Ich enthalte mich
     jeden Kommentars zu diesen Texten.
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    Sie haben die Macht der Zeit zerschmettert …
    (HathayogapradÄ«pikā 1,9)
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    (Der Informant) *** unterscheidet sich
     deutlich von Mönchen und Asketen in der Gangesebene und in den anderen
     Bergregionen. Keine Asche auf dem Körper oder im Gesicht, kein Lendentuch, kein
     ockerfarbenes oder rotes Gewand. Einfach ein simples Tuch, wie ein Dhoti um die
     Hüfte gebunden, und darüber ein grobleinenes Hemd. Beides farblos. Fast hätte er
     einen armen Tempelpriester in Varanasi abgeben können. Und das Haar – nicht
     lang, auch nicht verfilzt, es war gewaschen und dunkelgrau. Die Träger kriechen
     dem Meister sofort zu Füßen. Folge ihrem Beispiel; es ist ja nicht das erste
     Mal, dass ich für die Wissenschaft zu Kreuze krieche. Selbst Mukherjee und
     Maettgen geben sich Mühe. Der Informant beeindruckte mich – er empfing diese
     Hommage, als würden wir die Berge verehren oder den Boden nach seltenen Steinen absuchen. Da war kein Stolz, keine Genugtuung. Er
     war nicht einmal böse auf uns. Immerhin hatten wir sein Versteck
     »enttarnt«.
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    â€¦
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    Denke darüber nach, wie Generationen von Suchern
     unterwegs waren auf der Suche nach dem, was ich hier so leichtfüßig vor mir habe.
     Vielleicht haben es einige sogar bis an diesen Ort geschafft. Die Legenden vom
     Jungbrunnen, vom Quell des Lebens, und wie sie alle heißen mögen, sind
     himmelerbarmender Schwachsinn. Alle haben sie hier gebadet, bis ihnen die Haut von
     den Knochen moderte, sie haben kaum trinkbares Wasser getrunken und sich die Ruhr
     verdient, mit der sie von hier abgezogen sind. Und die wahre Quelle, sie findet sich
     nicht im heißen Wasser, sie ist in einer chemischen Formel verborgen, in den
     Molekülen einer Pflanze …
    Â 
    â€¦
    Â 
    Führe mich heute Morgen auf
     wie in einem Verhör, geschickt plazierte Fragen, Schmeicheleien dazwischen,
     Unwichtiges, dann ein Angriff. Der Informant lässt mich eine geschlagene Stunde
     lang reden. Der Kanchanjanghā steckt währenddessen in einem kegelförmigen, oben
     abgeflachten Turm aus Wolken. Schließlich fängt er an zu sprechen. Die ersten
     Antworten schon überzeugen mich. Und dann sieht er mich blitzschnell an und
     bricht in schallendes Gelächter aus. Die Rhododendren hinter uns und der riesige
     Deodarbaum dort unten schütteln sich in diesem unverschämten Lachen. Mir kommt vor, die Südausläufer des Kanchanjanghā
     leuchten auf. Weiß. Eisig. Der ganze östliche Himalaya,
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