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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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Mujavat-Hügeln gelegen. Die angeblich neuen Hymnen sprächen jedoch auch von Fundstellen »weit im Osten« ( duram pracīne ), wahrscheinlich in der Nähe des Sagarmatha (Mount Everest) und des Kanchanjanghā, also des höchsten sowie des dritthöchsten Berges der Welt, die sich in nur hundertfünfzig Kilometer Entfernung voneinander befänden. Darüber hinaus würden diese neu entdeckten Hymnen ein für alle Mal klären, dass es sich bei Soma nicht um ein Rauschgetränk, sondern um eine potente Medizin handle, die tief in die Zellstrukturen eingreife. Soma werde bezeichnet als rahasyam jagatām , »das Geheimnis alles Lebendigen«, und es gewähre ein Leben, das »Hunderte Herbste« lang sei. Außerdem seien in diesen Hymnen Beschreibungen der Soma-Pflanze zu finden, die den Schluss zuließen, bei Soma handle es sich um ein Sukkulentengewächs aus der Familie der Caryophyllaceae.
    Eine der in Frage stehenden, angeblich neuen Hymnenstrophen lautet in Christians Übersetzung folgendermaßen:
    Â 
    Ausgepresst zur wahren Zeit zwischen Steinen, im Entzücken der Gedanken, bringt Soma Hunderte Herbste lang die zwei Mütter zum Strahlen, Erde und Himmel;
    er läuft durch alle Wollhaare des Schafes, er vertreibt das Zerbrechende (= rogam, die Krankheit), und sein anschwellender Strom trägt mit Gewissheit das Geheimnis alles Lebendigen.
    Â 
    Wie gesagt, nirgends ein klares Wort über Virachara Bhattas Kommentar zu diesen Hymnen, auf den Christian offenbar seine gesamte Unternehmung gegründet hatte. Dieser Kommentar musste wohl noch viel weitergehende Aussagen über Soma machen, sowie über Menschen, die Somas angebliches Geheimnis kennen sollten. Das hatte Christian ja auch bei unserem letzten, nächtlichen Zusammentreffen gesagt. Man muss wohl annehmen, Christian habe geglaubt, Virachara Bhattas aus dem neunzehnten Jahrhundert stammender Kommentar berichte von jenem unbekannten Tal und einem dort wohnenden Einsiedler. Und von dem Wissen, welches ein solcher Bewohner des Tals bewahre.
    Â 
    Ein Gefühl der Irrealität überkommt mich heute, wenn ich meine Gedanken auf Christians Manuskripte und Entdeckungen lenke; ich höre das federleicht-dröhnende Lachen eines verwegenen Gottes.

II
    SIND DIE DINGE doch bloß Abbilder, Geschichten? Sind die masselosen subatomaren Teilchen Laute, knatternde Konsonanten, zischende Vokale?
    Â 
    Elf Wochen sind seit Christians Tod mittlerweile vergangen.
    Zwei Mal habe ich jemanden, der mir in diesem Leben Freund geworden und trotz allem ans Herz gewachsen ist, zum letzten Mal gesehen. Maggie leblos in der Gerichtsmedizin; Christian als roten Schatten in einem nächtlichen Wald in Nordsikkim.
    Fast täglich höre ich Bruckners Neunte, die beste Neunte, jene mit Günter Wand, dazu immer wieder Brahms’ Dritte und wahllos Mahler (Sophia mag Mahler am liebsten). An der ZAMG habe ich gekündigt und werde nächsten Monat die Arbeit an einem europäischen Klimaforschungsprojekt beginnen. Es trägt den Namen Alpimpac II . Darüber hinaus stehen mehrere umfangreiche Untersuchungen für GeoWatch auf meinem Arbeitsplan. Eine davon wird sich mit den Staudammprojekten in Sikkim befassen.
    Manchmal schmerzen meine Augen wieder. Ich könnte an meinem linken Auge erblinden, sagt meine Augenärztin, schiebe die nötige, gefährliche Operation aber seit Jahren hinaus.
    Â 
    Ich verstehe jetzt den Grund für Maggies Vermisstenanzeige bei der Wiener Polizei. Ohne Christian direkt anzuklagen, hat sie doch Spuren legen wollen. Denn Faust ist der Mann, der zu allem bereit ist und jeden Preis zahlt.
    Und ich stelle mir die Frage, ob ich Maggies Auftrag erfüllt habe. Ich vermisse sie. Für Maggie war der Tod ein Zerfall zufällig angeordneter Moleküle, die nun ins Nichts zerstäuben. Ich glaube ihr nicht ganz. Wir kennen nicht alle Geheimnisse. Es ist völlig unwissenschaftlich, vom Gegenteil auszugehen.
    Gabriela habe ich seit zwei Monaten, und Sophia habe ich seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Sophia ist mit einer Freundin ans Meer gefahren und hat sich auch seit dem (von mir angenommenen) Zeitpunkt ihrer Rückkehr nicht bei mir gemeldet. Zuvor hat Sophia mir, ich denke doch, es war als eine Art von Liebespfand gedacht, jenes Herbarium zur Aufbewahrung überlassen, das sie in den Bergen Sikkims gesammelt hat.
    Es gibt Stunden, da kommt mir dieses Herbarium vor wie aus
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