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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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deine Portokasse nicht.«
    Maggie legt mir einen Finger auf die Lippen. »Ich mag dich«, sagt sie. Dabei kannte sie mich seit genau einer halben Minute. »And I am lovely, just try.«
    Â 
    Eine eigenartig durchscheinende, leere Dunkelheit legt Hülle um seidene Hülle über mich. Bis ich kaum noch freie Sicht auf die Welt habe.
    Gegen halb sechs Uhr wird mir die Lächerlichkeit meines Tuns bewusst; ich mache mich aus dem Staub. Als ich meine Jacke vom Haken nehme, kommt mir das Telefongespräch mit Maggie von letzter Nacht in den Sinn; Gabriela schlief schon fast, ich war zum Telefonieren hinaus ins Wohnzimmer gegangen. Anfangs ging es um einen alten Druck der Silberstiftzeichnung von Jan van Eyck, den sie bei einer Auktion erstanden hatte, als Geburtstagsgeschenk an sich selbst. Und während ich jetzt hinunter auf den Parkplatz laufe, die Treppe, den Gang, die Eingangshalle, kaue ich das ganze Gespräch durch, ich nehme mir vor, es aufzuschreiben, so gut es geht, Wort für Wort, eine Andachtsübung. Und ich entdecke, dass Maggie mir zwischendrin einen Namen mitgeteilt hat. Wir haben über ihren, wie Maggie dachte, verschollenen Exmann Christian gesprochen.
    Â»Christian hatte Kontakt zu einem Zellbiologen in Heidelberg«, sagt sie. » Fucking curious name , Maettgen, mit ae.«
    Â»Doch bestimmt wegen seiner Handschriften«, werfe ich ein. Christians Forschungsschwerpunkt sind alte medizinische Manuskripte auf Sanskrit.
    Â»Quatsch, Prinz«, sagt Maggie. Immer wieder hat sie mich so genannt. Ungenaue Übersetzung des Maharadscha. »Der hat doch mit solchen Leuten sonst nichts zu tun. Und dann verschwindet Christian auch noch.«
    Draußen angekommen, hat es zu regnen begonnen. Was mich aber nicht davon abhält, die Mülltonne neben meinem Wagen zu misshandeln. Maggies Stimme hat bei diesem Gespräch anders geklungen als sonst, zerbrechlicher. Das spricht gegen Fialas Selbstmordthese. Eine Heidenangst war in Maggies Stimme – und ich habe nichts bemerkt. Ich fluche; die Tonne empfängt ihren zehnten Tritt. Leute wie Maggie gehen in ein Zenkloster in Kyoto, sie besteigen einen unbezwingbaren Berg, sie marschieren allein von Südlibyen nach Marokko und verdursten dabei; niemals aber nehmen sie Gift in ihrer Wohnung.
    Â»Was denn los?«, sagt jemand in meinem Rücken. Ausgerechnet jetzt geht Marlies mit Minnie zu ihrem Wagen. Die beiden wissen noch nichts von Maggie.
    Â»England–Indien, zweites Innings 214:3«, ruft Marlies.
    Ich knurre. Die wasserstoffblonde, kurzhaarige Minnie pfeift durch die Zähne. Dann kommt Minnie näher, sehr viel näher.
    Â»Morgen«, sagt sie an meinem Ohr. »Unser Bernard hat heute gaaanz miese Laune. Sein Indien liegt vor den Engländern im Staub des Infield.«
    Es läuft gerade die Kricket-Meisterschaft, doch ich habe keine Ahnung von den Tagesergebnissen. Obwohl es meine Anwesenheit an der ZAMG ist, die diesen Sport dort populär gemacht hat.
    Ich hebe genervt die Hand und steige in meinen Wagen, ohne mich umzudrehen. Wann immer an der ZAMG Alkohol im Spiel ist, lande ich irgendwann bei Minnie. Und bei der letzten Weihnachtsfeier sind wir beide wohl ein ganzes Stück zu weit gegangen.
    M&M , wie man Marlies und Minnie nennt, heben zum Abschied die rechte Faust. Es ist eine revolutionäre Geste. Denn wenn ich mich nicht so fühle wie heute, dann bin ich der hübsche Paradiesvogel an der ZAMG . Der mit den seltsam braun-blauen Augen und einem toten Freiheitskämpfer als Großvater.
    Â 
    Obwohl doch Shivmangal Rai im südostasiatischen Dschungel an der Seite der Japaner gekämpft hat. An der Nahtstelle des Jahrhunderts, genau dort, wo es in zwei ziemlich ungleiche Hälften zerbricht. (Ich öffne meine Wagentür und sehne mich zurück in dieses Jahrhundert, es war am Ende besser, ich war fünfundzwanzig, als es sein Leben aushauchte, Maggie lebte und alles war fast so, wie es sein sollte.) Es erfüllt Marlies und Minnie aber mit Stolz, dass Shivmangal Rai sich gegen die seit zweihundert Jahren rhythmisch niedersausende Kolonialistenknute der Briten gestellt hat. Nicht nur für meinen Großvater waren die Briten in Indien der Bei-weitem-größere-Teufel. Ja, Marlies und Minnie kennen den Enkel eines Anführers in einem der großen gerechten Kämpfe dieser ansonsten so abscheulich stinkenden Jahrhundertschweinehälfte. Da stört es sie ausnahmsweise
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