Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
Vom Netzwerk:
1498, Jahr des mysteriums ) erwachte Fernão Pinto mit einem dicken Schädel in die gnadenlose Hitze dieses Tages hinein. Der Ausguck der São Gabriel wartete auf ihn. Dabei hatte Fernão ein Gelage mit dem Gebrannten hinter sich, den ihnen der Kapitän von der Offiziersration hatte schicken lassen. Und nun musste Fernão, kaum wach, hinauf.
    Hinauf, hinauf in den Mast mit ihm, lasst ihn sehen, was kein Matrose aus dem Abendland noch gesehen hat.
    Als Fernão Pinto dann oben im Mastkorb schwankte, schlief er fast ein. Wohin würden sie schon gelangen? Zum Paradies? Keineswegs, es musste sich noch viel weiter im Osten befinden und war von einer hohen Feuerwand umgeben. Monsunwolken sah Fernão rechts durch seine klein gewordenen Augen, im Süden. Schwarz wie Pech waren sie, oben schwefelgelb. Ja, die São Gabriel näherte sich bestimmt der Hölle.
    Unten auf dem Deck standen der Kapitän und dieser Maure, der im afrikanischen Malindi an Bord gegangen war. Und dann war der Augenblick da. Fernão musste rufen, schreien. Endlich wieder richtiges Fleisch, irgendwas wird es da wohl geben. Und Brot, und Vögel.
    Also rief Fernão Pinto, der in entscheidenden Augenblicken zum Stottern neigte, an diesem Mittag das Übliche, es ist nicht exakt überliefert (wahrscheinlich war es: › T-T-T errrra!‹, oder › Í-Í-Í ndia!‹), und dann blickte er mit ungläubig offenem Mund auf seinen Kapitän hinunter, diesen Vasco da Gama, den großen Ritter des Christusordens, den Menschen, der in diesem Augenblick, welcher in seiner Feierlichkeit etwas verunstaltet wurde durch Fernão Pintos Gestammel, die wichtigste Entdeckung der Menschheit gemacht hatte.
    Da Gama wiederum wandte seinen Blick jenem dunklen, weißgekleideten Mann namens Ahmad ibn Majid zu, dem Verfasser des Kitab al-Fawa’id , dem Großen Nautischen Handbuch, der wissend in sich hineinlächelte. Christenbarbaren! Und weder Fernão Pinto ––

 
    Â 
    Â 
    VIELLEICHT IST DER EINZIGE GRUND , diese erste, seltsam abrupt endende Mail nicht zu löschen, sondern doch noch zu lesen, zwei Mal zu lesen, weil sie alle auf dem Gang vor meinem Büro herumflattern wie eine Schar Hühner. Guggenberger, Chef der meteorologischen Abteilung, den wir den Bos nennen (von lateinisch Ochse – bos , bovis –, denn wir hassen seine Stahlrahmenbrille, seine billigen Dreiteiler und seinen lächerlichen französischen Kleinwagen), treibt seit der Morgenbesprechung sein launiges Unwesen. Vielleicht hat diese Mail mich aber auch in ihren Bann gezogen. Ein Unbekannter mit einem merkwürdigen Namen, der mir ein solches Ding über ein Jahr des mysteriums schreibt. Doch bevor ich über dieses Mannes Beweggründe und Urteilsfähigkeit nachdenken kann, klingelt mein Telefon. Festnetz. Ein gewisser Fiala. »Wir brauchen Sie in der Gerichtsmedizin, Herr Rai,« sagt er. »Sofort. Margaret Chelseworth.«
    Â 
    Und so steige ich nun – in Begleitung von Fiala und einem humorlosen Gentleman namens Robert Wilson, den man aus der britischen Botschaft geschickt hat – über eine breite Treppe in die Unterwelt hinab. Ich finde mich in einem Raum wieder, dessen Boden und Wände mit weißer, glasierter Keramik bedeckt sind. An der mir gegenüberliegenden Wand befinden sich drei Waschbecken mit Ablagen voll mit Handtüchern, metallischen Schüsseln und chirurgischem Besteck. Darüber ein paar Hängeschränke. Und rechts von mir reihen sich die Kühlkammern aus Edelstahl. Aus jedem Gegenstand und jedem Möbelstück quillt ein Grauen, dem ich nichts entgegenzusetzen habe.
    Fiala nickt wortlos, worauf der Obduktionsarzt eine der Edelstahlkammern entriegelt. Er zieht einen Metallschlitten heraus und schlägt die grüne Plastikhülle zur Seite. Das Gesicht, das wir zu sehen bekommen, ist fremdartig verzerrt und die Augenlider schimmern steingrau. Der Arzt tritt einen Schritt zur Seite, als ich ihn fragend ansehe. »Natürlich, Herr Rai«, sagt er und schnauft. Ich strecke meine linke Hand langsam vor, um Maggie eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Ich bin aber nicht auf das betäubende Gefühl vorbereitet, welches bei dieser Berührung meinen Arm hochläuft. Was ich berühre, ist: das Nichts. Hohles, böses Nichtsein. Erschrocken werfe ich einen Blick zu Fiala hinüber, der mittlerweile meine Kaschmirjacke und die halblangen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher