Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
kahlen, weißen Wänden, einem hohen Tisch, Sauerstoff- und Äthernarkoseausstattung und einem kleinen Sterilisator.
    »Mit Kleintieren gibt’s in dieser Gegend nicht viel zu tun.« Farnon strich mit der Hand über den Tisch. »Aber ich versuche es in Gang zu bringen. Ist eine angenehme Abwechslung, wenn man sonst immer nur im Kuhstall auf dem Bauch liegt. Die Sache ist die, man muß die Arbeit anständig machen. Die alte Methode mit Rizinusöl und Blausäure taugt überhaupt nichts. Sie wissen wahrscheinlich, daß viele alte Ärzte keine Lust haben, einen Hund oder eine Katze zu untersuchen, aber heutzutage sind wir anders eingestellt.«
    Er ging zu einem Eckschrank und öffnete die Tür. Ich sah Glasborde mit Skalpellen, Klammern, Nähnadeln und Flaschen mit Katgut in Spiritus. Er nahm sein Taschentuch und schlug damit leicht gegen einen Ohrenspiegel, bevor er sorgfältig die Tür schloß.
    »Na, was halten Sie von alldem?« fragte er, als wir auf den Gang hinaustraten.
    »Phantastisch«, sagte ich. »Sie haben ungefähr alles, was Sie hier brauchen. Ich bin wirklich beeindruckt.«
    Als wir wieder im Wohnzimmer waren, erzählte ich ihm von Bert Shape. »Er sagte etwas über das Auspusten einer Kuh, die auf drei Zylindern läuft. Ich hab’s nicht verstanden.«
    Farnon lachte. »Ich glaube, ich kann es übersetzen. Er meint einen Eingriff an einer blockierten Zitze.«
    »Und dann war da noch ein tauber Ire, ein Mr. Mulligan.«
    »Moment mal.« Farnon hob die Hand. »Lassen Sie mich raten – starkes Erbrechen, stimmt’s? Gut, ich werde ihm noch mal eine Portion Wismutkarbonat aufschreiben. Sein Hund braucht eine langfristige Behandlung. Das Tier sieht aus wie ein Airdaleterrier, ist aber so groß wie ein Esel und ziemlich launisch. Seinetwegen ist Joe Mulligan schon mehrmals zu Boden gegangen – der Köter wirft ihn einfach um, wenn er nichts Besseres zu tun hat. Aber Joe liebt ihn.«
    »Woher kommt das Erbrechen?«
    »Das hat gar nichts zu sagen. Natürliche Reaktion, weil er jeden Dreck frißt, den er findet. So, jetzt werden wir mal zu Shape fahren. Und dann muß ich noch zwei oder drei andere Besuche machen. Haben Sie Lust, mitzukommen?«
    Draußen dirigierte mich Farnon zu einem verbeulten Hillman, und als ich zum Beifahrersitz ging, warf ich einen überraschten Blick auf die profillosen Reifen, die verrostete Karosserie und die fast undurchsichtige Windschutzscheibe mit ihrem Netz von Rissen und Sprüngen. Dagegen bemerkte ich nicht, daß der Sitz unbefestigt auf seinen schlittenartigen Kufen stand. Als ich mich niederließ, kippte ich prompt nach hinten. Mein Kopf landete auf dem Rücksitz, und die Füße stiegen gegen das Dach. Farnon half mir hoch, entschuldigte sich mit strahlender Liebenswürdigkeit, und wir fuhren los.
    Nachdem wir den Marktplatz hinter uns gelassen hatten, fiel die Straße plötzlich ab, und wir sahen das ganze Dale im Abendsonnenschein vor uns hingebreitet. Das milde Licht nahm den Umrissen der großen Hügel ihre Schärfe, und ein gebrochener Silberstreifen zeigte an, wo sich der Darrow durch das Tal wand.
    Farnon war ein unorthodoxer Fahrer. Offensichtlich gefesselt von der Szenerie, fuhr er langsam bergab, die Ellenbogen auf das Lenkrad, das Kinn in die Hände gestützt. Am Fuß des Hügels erwachte er aus seiner Träumerei und steigerte die Geschwindigkeit auf siebzig Stundenmeilen. Der alte Wagen schaukelte wild die schmale Straße entlang, und mein beweglicher Sitz schleuderte hin und her, obgleich ich die Füße mit aller Kraft gegen den Boden stemmte.
    Dann trat Farnon kräftig auf die Bremse, zeigte mir einige Zuchtrinder auf einem Feld und preschte weiter. Er sah überhaupt nicht auf die Straße, seine ganze Aufmerksamkeit galt der Landschaft zu beiden Seiten und hinter uns. Das beunruhigte mich, denn er fuhr die meiste Zeit sehr schnell und blickte dabei über die Schulter.
    Schließlich bogen wir von der Straße ab, fuhren einen schmalen Weg entlang und kamen auf einen Hof. »Hier ist ein lahmes Pferd«, sagte Farnon. Ein stämmiger Wallach wurde herausgeführt, und wir sahen aufmerksam zu, wie der Bauer ihn auf und ab traben ließ.
    »Was meinen Sie, auf welchem Bein er lahmt?« fragte mein Kollege. »Links vorn? Ja, das glaube ich auch. Wollen Sie es untersuchen?«
    Als ich meine Hand auf den Fuß legte, fühlte ich, daß er unnatürlich heiß war. Ich bat um einen Hammer und klopfte damit gegen die Hornwand des Hufs. Das Pferd zuckte zurück, hob den Fuß und hielt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher