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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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Augen, als enthüllte er mir die Mysterien von Aladins Höhle, »dies ist die Medikamentenkammer.«
    Die Medikamentenkammer war ein wichtiger Ort in den Zeiten vor dem Penicillin und den Sulfonamiden. Lange Reihen von Winchesterflaschen standen in deckenhohen Regalen. Ich genoß die vertrauten Namen: Salpeterspiritus, Kampfertinktur, Chlorodin, Formalin, Salmiakgeist, Hexamin, Bleizucker, Linimentum Album, Quecksilberperchlorid. Die vielen Etikette hatten etwas Tröstliches, denn hier war ich ein Eingeweihter unter alten Freunden. Ich hatte mühevoll Wissen über diese Medikamente zusammengetragen, im Lauf der Jahre ihre Geheimnisse ausgekundschaftet. Ich kannte ihre Herkunft, ihre Wirkungsweise, ihre Anwendungsmöglichkeiten und ihre ungeheuer variierende Dosierung. Wieder hörte ich die Stimme des Examinators: »Welches ist die Dosis für ein Pferd... eine Kuh... ein Schaf... ein Schwein... einen Hund... eine Katze?«
    Diese Regale enthielten das gesamte tierärztliche Waffenarsenal gegen Krankheiten, und auf einer Bank unter dem Fenster sah ich die Instrumente, mit denen die Arzneien gemischt wurden: Meßgefäße und Bechergläser, Mörser und Stößel. Und darunter, in einer offenen Schublade, die Medizinflaschen, Berge von Korken aller Größen, Pillenschachteln und Arzneikapseln.
    Während wir umhergingen, wurde Farnon immer lebhafter. Seine Augen funkelten, und er sprach sehr schnell. Ab und zu streichelte er eine Winchester auf dem Regal, oder er nahm etwas Latwerge aus einer Schachtel, fuhr sanft mit der Hand darüber und legte es mit zärtlicher Behutsamkeit zurück.
    »Schauen Sie sich dieses Zeug an, Herriot«, brüllte er plötzlich. »Adrevan! Das Heilmittel par excellence gegen Palisadenwürmer bei Pferden. Allerdings ziemlich teuer – zehn Shilling ein Paket. Und diese enzianblauen Pessare. Wenn man eines von ihnen nach einer unvollständigen Nachgeburt in den Uterus einer Kuh einführt, färbt es den Ausfluß. Scheint wirklich was zu taugen. Und haben Sie schon mal diesen Trick gesehen?«
    Er schüttete ein paar Jodkristalle auf eine Glasplatte und fügte einen Tropfen Terpentin hinzu. Eine Sekunde lang passierte gar nichts, doch dann stieg eine dicke, rote Rauchwolke auf. Er lachte bellend über mein verblüfftes Gesicht.
    »Wie Hexerei, nicht wahr? Ich benutze es bei Wunden an Pferdehufen. Die chemische Reaktion treibt das Jod tief ins Gewebe.«
    »Tatsächlich?«
    »Hm, ich weiß nicht, aber so lautet jedenfalls die Theorie, und Sie müssen zugeben, daß es großartig aussieht. Beeindruckt auch den skeptischsten Kunden.«
    Farnon wußte über die meisten Medikamente etwas zu sagen. Ein jedes hatte seinen Platz in seiner fünfjährigen praktischen Erfahrung; sie alle hatten ihre Faszination, ihre individuelle Mystik. Viele Flaschen waren wunderhübsch geformt, hatten schwere Glasstöpsel, und ihre lateinischen Namen waren tief eingeätzt, Namen, die den Ärzten seit Jahrhunderten vertraut waren und um die sich mit der Zeit viele Fabeln gerankt hatten. Wir standen und starrten auf die schimmernden Reihen und hatten keine Ahnung, daß die Tage der alten Arzneimittel praktisch vorbei waren.
    »Hier bewahren wir die Instrumente auf.« Farnon führte mich in einen anderen Raum. Die kleine tierärztliche Ausrüstung lag in den Regalen auf grünem Fries, sehr gepflegt und blitzsauber. Injektionsnadeln, Sonden, Geburtszangen und an einem besonderen Platz ein Augenspiegel.
    Farnon nahm ihn liebevoll aus der schwarzen Schachtel. »Meine neueste Errungenschaft«, murmelte er und strich über den glatten Griff. »Ein wundervolles Instrument. Hier, werfen Sie mal einen Blick auf meine Netzhaut.«
    Ich schaltete die Glühbirne ein und betrachtete interessiert das schimmernde bunte Muster auf dem Augenhintergrund. »Sehr hübsch. Ich könnte Ihnen ein Gesundheitsattest ausstellen.«
    Er lachte und schlug mir auf die Schulter. »Gut, das freut mich. Ich dachte immer, auf diesem Auge hätte ich eine leichte Linsentrübung.«
    Er zeigte mir nun die großen Instrumente, die an den Wänden hingen. Stutz- und Feuereisen, Instrumente für unblutige Kastration, Wurftaue und Fesseln, Schnüre fürs Kalben und Klammern. Ein silbernes Embryotom hatte einen Ehrenplatz, aber ebenso wie die Arzneien waren viele Instrumente Museumsstücke – besonders die Lanzette zum Aderlaß, Fliete genannt, ein Relikt aus mittelalterlichen Zeiten, das aber immer noch benutzt wird.
    Zuletzt kamen wir in das Operationszimmer mit seinen
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