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Der deutsche Goldrausch

Der deutsche Goldrausch

Titel: Der deutsche Goldrausch
Autoren: Laabs Dirk
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allerorten. Er verliebt sich in eine Berlinerin. Nun will er unbedingt nach Berlin. Zuvor hat er von New York und London geträumt, aber in Ost-Berlin wäre er immerhin nahe am Westen.
    In der Armee spürt er, was er immer und überall spürt: Er ist ein Außenseiter. Ständig bekommt er Ärger und weiß gar nicht, warum. Ein Offizier umgarnt ihn. Ob er nicht Karriere machen will in der Armee, in diesem Staat? Ob er nicht dazugehören will? Er ist doch intelligent, ehrgeizig, begabt. Ein Macher-Typ, nein? Will er nicht mit anpacken? Ja, Scheunert will irgendwo dazugehören und unabhängig werden von seinem Vater. Er muss sich positionieren in diesem Staat, da ist er anderer Ansicht als sein Vater. Der hat noch vor wenigen Monaten gesagt, die DDR sei am Ende: »Du wirst schon sehen, Ende der 1980er ist alles vorbei, die kriegen nicht mal mehr die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln geregelt.« Scheunert hat nur ungläubig gelacht.
    Er sagt ja. Zur Gruppe. Zur Armee. Zur Offizierslaufbahn. Zum Staat. Zur Partei.
    Die Förderung kann beginnen.
     
    Zu welchen Mitteln sein Staat wirklich gegriffen hat, um wirtschaftlich zu überleben, begreift Scheunert erst drei Tage vor dem Mauerfall. Das Magazin »Der Spiegel« erwähnt den Namen Schalck dreimal in einem Absatz der Titelgeschichte »Ist die DDR noch zu retten?«. Zum ersten Mal erfährt die west- und ostdeutsche Öffentlichkeit von der Abteilung KoKo, von angeblicher Steuerhinterziehung und von kriminellen Geschäftsmethoden. Der Artikel bleibt vage, doch zwei Wochen später ändert sich das.
    In einer mehrseitigen Hintergrundgeschichte wird das Magazin deutlicher. Plötzlich scheint das Blatt fast über alles Bescheid zu wissen: Schalcks Rolle, seine Schlüsselstellung, die Adresse seiner Villa in Ost-Berlin, die Namen der KoKo-Tarnfirmen in Deutschland und Liechtenstein, es wird sogar der Verdacht geäußert, dass die Abteilung KoKo Mitarbeiter in Westdeutschland habe ermorden lassen. Quellen werden nicht genannt. Nur eine Institution im Westen weiß zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Genaueres über Schalck und die KoKo: der Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND). Der BND hat die Abteilung KoKo seit den 1970er Jahren systematisch unterwandert. Vor allem KoKo-Mitarbeiter aus der DDR, die im Westen Tarnfirmen führen, werden rekrutiert, darunter die Unternehmer Günter Asbeck und Peter Kamenz. Kamenz setzt sich 1988 ab
und sagt bei der Behörde umfassend über die KoKo-Geschäfte aus. Viele der Informationen des BND tauchen in dem Artikel des »Spiegel« ungefiltert auf. 4
    Detlef Scheunert liest den Artikel und ist schockiert. Er erfährt, dass Schalck nicht nur dem Staat gedient, sondern auch Schmuck und Luxusgüter für die SED-Funktionäre und deren Ehefrauen besorgt hat – bezahlt aus den Erlösen von Gütern, die er im Westen unter Wert verkaufte. Und er machte, was den Referenten ganz besonders empört, das Eigentum von DDR-Bürgern, die in den Westen geflüchtet waren, zu Geld. Dass Schalck den SED-Funktionären Schmuck besorgt, in einer Villa lebt, macht Scheunert ebenfalls wütend. Er hat mit seiner Frau und den beiden Kindern in den letzten Jahren als Bediensteter des Staates zwar in gesicherten Verhältnissen gelebt, befand sich aber permanent auf der Jagd nach Windeln für das Baby, nach Farbe für die erste Wohnung, nach Nägeln, Pinseln, Kochtöpfen.
    Die Veröffentlichungen über Schalck verändern auch die Diskussionen unter Scheunerts Nachbarn. Sie haben genug. Dieser Staat soll verschwinden. Sie wollen nicht mehr auf Reformen und einen Neuanfang warten, sie wollen nur noch weg, am besten in den Westen. Auch Scheunert überlegt, die DDR zu verlassen, doch das will er seiner jungen Familie nicht zumuten. Er vertraut darauf, dass er in einem reformierten Staat eine Rolle spielen kann, er hat das nötige Wissen und die richtige Ausbildung.
    Doch seit dem Mauerfall verliert seine Partei Tag für Tag an Macht. Die Menschen haben keine Angst mehr von dem Apparat. Bei Rostock entdecken Bürger am 2. Dezember eine Lagerhalle der KoKo-Firma IMES. 5 Sie stürmen die Halle. Sie ist voller Waffen, Munitionskisten, Sprengstoff. Hat die DDR etwa mit Waffen gehandelt? In wessen Auftrag? Wer in der SED wusste davon?
    Scheunert wurde in der Armee wie in der Partei stets mit ein und derselben Frage diszipliniert: »Bist du gegen den Frieden?« Die DDR, das war das Bollwerk gegen den Faschismus, gegen die Kalten Krieger aus Bonn und Washington. Die
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