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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul
Autoren: Christian Ditfurth
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junger Mann.
    Mich faszinierten immer wieder Melchers Ohren. Sie waren tief angesetzt, stießen fast an den steifen Hemdkragen. Seine kräftige Nase endete in einer tropfenförmigen Spitze. Ich war damals noch dabei, mir eine Meinung über Melcher zu bilden. Er war eingesetzt worden für den geschassten Grzesinski, und der war nicht nur Sozialdemokrat, sondern hatte auch bei den sittenstrengen Herren um den Reichspräsidenten verschissen, weil er zur Freude der Boulevardpresse eine Schauspielerin mehr liebte als Ehefrau und Amt.
    »Herr Kommissar, wir haben auf Sie warten müssen«, sagte Melcher mit fast tonloser Stimme.
    Ich hätte am liebsten den Schuh ausgezogen und dem Herrn meinen blutigen Fuß auf den Schreibtisch gelegt. Aber ich sagte nur: »So schnell es ging, Herr Präsident.«
    »Aha«, sagte Melcher und zog die schmalen Augenbrauen hoch. »Sie werden sich vielleicht fragen, wer dieser Herr ist.« Er zeigte auf den Oberleutnant. »Herr Oberleutnant Rickmer ist im Auftrag des Herrn Reichswehrministers hier. Er ist gewissermaßen der inoffizielle Beobachter des Generals von Schleicher. Er wird Sie begleiten bei Ihren Ermittlungen und dem Herrn Reichswehrminister berichten.«
    Er wandte sich an den Oberleutnant. »Und das ist einer unserer fähigsten Beamten, der Kriminalkommissar Soetting, Leiter der aktiven Mordkommission. Auf jeden Fall hat niemand mehr Belohnungen bekommen als er.« Das klang wie ein Vorwurf. Dabei war es üblich, dass die Polizeiführung Gratifikationen verteilte, wenn man schwierige und wichtige Fälle löste. Manchmal zeigten auch Bürger ihre Dankbarkeit. Das erlebte ich zum ersten Mal, als ich kurz vor der Inflation dem Einbruchsdezernat zugeteilt war und Kowalski verhaftete. Eines seiner Opfer durfte mir mit Billigung des Dezernatsleiters zweihundert Mark schenken. Kowalski war der zweite auf meiner mittlerweile langen Liste, der Kriminalanwärter Soetting war stolz gewesen auf die Verhaftung. Wenige Jahre später hatte ich ihn wieder erwischt, als er eine Villa im Tiergartenviertel ausräumen wollte. Nachbarn hatten ihn gesehen, ich hatte Bereitschaft, und Kowalski wurde mein Stammkunde. Ich habe nie viel Sinn darin gesehen, Verhaftete fertigzumachen. Freundlichkeit führt meist schneller zum Ziel. Bekanntermaßen verdankte auch der alte Gennat dieser Methode einen Teil seiner legendären Erfolge. Seit den beiden Verhaftungen hatte Kowalski mir immer mal wieder einen Tip gegeben. Wenn ich ihn bei Razzien sah in einschlägigen Kneipen, begrüßte er mich freundlich, und ich kontrollierte ihn nicht. Als ich 1927 zur Mordinspektion versetzt wurde, brach der Kontakt ab.
    Ich schaute zu Rickmer, der verzog keine Miene, nickte nur fast unsichtbar.
    »Ich möchte nicht, dass Sie gegenüber der Presse etwas über diesen Fall sagen. Wenn einer was sagt, bin ich das. Ist das klar?« Melcher schaute mich streng an.
    Ich starrte einige Sekunden regungslos zurück, der Ton passte mir nicht. Dann sagte ich: »Jawohl, Herr Präsident.«
    Ich spürte die Missbilligung in seinem Blick. Vielleicht hielt er mich für einen verkappten Grzesinski-Mann. Vielleicht wollte er mir den Auftrag gar nicht geben, musste es aber, damit ihm hinterher niemand etwas vorwerfen konnte.
    Als hätte Melcher meine Gedanken geahnt, sagte er: »Seit dem Abgang unseres Kollegen Engelbrecht kommen für diesen Auftrag eigentlich nur Sie in Frage. Den Kollegen Gennat will ich mit solchen Fällen nicht behelligen. Er ist, sagen wir mal, nicht beweglich genug, womit ich natürlich seine herausragenden kriminalistischen Fähigkeiten und Verdienste nicht in Abrede stellen will.« Der Polizeipräsident ließ Missbilligung aufscheinen in seinem Gesicht. Der Chef der Mordinspektion, Kriminalrat Ernst Gennat, der Buddha der Polizei, hatte sich seit Jahren mit Torte vollgestopft, bis er keine Treppe mehr hochkam. »Ich bin natürlich sicher, dass Sie den Rat des Kollegen Gennat suchen werden. Genauso sicher bin ich, dass unser geschätzter Herr Exkollege Engelbrecht öffentlich feststellen wird, dass wir einmal mehr alles falsch machen und dass ihm. diese Fehler nicht unterlaufen wären.«
    Ernst Engelbrecht wurde seinerzeit in Ganovenkreisen der »Blitz« genannt, wobei unklar blieb, ob er sich den Namen nicht selbst verpasst hatte. Der war abgehauen, hatte geschmissen, wollte sich als Schriftsteller versuchen, war ein Pfau. Ich wusste nie so recht, ob er seinen Ruf seinen Leistungen oder der Selbstbeweihräucherung verdankte, zu
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