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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul
Autoren: Christian Ditfurth
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machen Sie auf! Es ist dringend! Öffnen Sie!« Die Stimme kannte ich, es war Egon Wohlfeld, mein bester Kriminalassistent. Der Mann hatte ein solches Vollmondgesicht, dass manche Kollegen Schlafstörungen befürchteten, wenn er sie länger ansah. Er war ein ruhiger Zeitgenosse und hatte nicht die Angewohnheit, nachts Vorgesetzte aus dem Bett zu trommeln. Als ich die Tür öffnete, fiel mir zuerst Wohlfelds bleiches Gesicht auf. »Herr Kommissar, es ist etwas Furchtbares geschehen. Sie müssen sofort aufs Präsidium. Schnell, der Herr Polizeipräsident wartet schon.«
    Was war in Wohlfeld gefahren? »Nun fassen Sie sich mal, was ist passiert?«
    Wohlfeld schaute mich erstaunt an, als müsste ich es wissen. »Hitler soll ermordet worden sein, in Weimar.« Er stotterte. Ich hatte ihn noch nie stottern gehört.
    Die Überraschung wich dem Ärger. Ich war sauer. Was interessierte mich dieser selbsternannte Erlöser aus Österreich? »Haben die in Thüringen keine Polizei mehr? Hat nicht der formidable Herr Innenminister Frick bei seinem braunen Intermezzo in Erfurt einen Haufen Nazipolizisten befördert? Und haben die nicht seit August eine richtig schicke Naziregierung mit dem nicht weniger formidablen Herrn Sauckel? Können die nicht selbst schauen, ob die Leiche ihr Führer ist? Was habe ich damit zu tun?« Dann winkte ich Wohlfeld in die Diele und sagte: »Warten Sie, ich ziehe was an. Ach nee, kommen Sie mal mit.« Ich humpelte ins Bad und setzte mich auf den Rand der Wanne. Dann hielt ich Wohlfeld meinen schmerzenden Fuß hin. »Da ist ein Splitter drin, holen Sie den raus! Beeilen Sie sich.«
    Wohlfeld schaute auf den Fuß, dann auf mich und warf mir einen verwirrten Blick zu.
    »Mit was?«
    Neben dem Waschbecken stand ein schmaler hoher Schrank. Er hatte oben eine Tür, unten vier Schubladen. Ich deutete auf die obere Schublade. »Da drin liegt irgendwo eine Pinzette.« Ich hoffte, dass Erika sie dagelassen hatte, als sie letzte Woche ihre Sachen packte.
    Wohlfeld stöberte zaghaft in der Schublade, dann hatte er die Pinzette in der Hand. Er betrachtete meinen Fuß, wischte mit Klopapier das Blut weg und sagte: »Da ist er.« Während Blut nachsickerte, zog Wohlfeld einen kleinen glitzernden Glassplitter aus der Haut. Er fand ein Pflaster in der Schublade und klebte es auf die Sohle, nachdem er zuvor noch einmal das Blut weggewischt hatte.
    Ich wusch mir das Gesicht, kämmte die paar grauen Haare, die mir geblieben waren, und zog mich im Schlafzimmer an. Wie jeden Morgen warf ich zum Abschied einen Blick auf das Foto von Elsbeth, das in einem Silberrahmen auf dem Nachttisch stand. Der Wecker zeigte kurz nach vier. Auf die Rasur verzichtete ich. Dann stieg ich mit Wohlfeld in unseren schweren Horch 8, der aus dem beschlagnahmten Vermögen der Sklarek-Brüder stammte. Von der Zinzendorfstraße in Moabit, wo ich in einem alten fünfstöckigen Mietshaus in der oberen Etage wohnte, bis zum Alexanderplatz brauchte Wohlfeld knapp zwanzig Minuten. Die Straßen waren fast leer. Vor dem großen Krach hatte es nachts mehr Verkehr gegeben. Mein rechter Fuß glitschte im Schuh. Wohlfeld stieg hart in die Bremsen, als er den Eingang Alexanderstraße des mächtigen Gebäudes aus rotem Backstein erreichte, in dem der Kopf und die wichtigsten Glieder der Berliner Polizei residierten. Wir bildeten uns ein, dieser Bau sei gefürchtet unter den Ganoven der Hauptstadt. »Ich bringe nur schnell den Wagen weg«, sagte Wohlfeld und gab Gas, bevor ich ihn anschnauzen konnte. Mir gingen seine Bremsmanöver auf die Nerven und vor allem auf den Magen. Manchmal hatte ich den Verdacht, er wollte mich kotzen sehen.
    Ich zündete mir eine Zigarette an und eilte die Treppen hinauf, den Homburg in der Hand. In der sechsten Etage drückte ich die Zigarette aus und öffnete die Tür zum Vorzimmer des Präsidenten. Selma Wieczorek saß an ihrer Schreibmaschine, als wäre es normal, morgens vor fünf Uhr an einer Schreibmaschine zu sitzen. Sie drehte sich kaum um und sagte: »Die Herren warten schon.«
    Es waren zwei Herren. Der eine war der Polizeipräsident Kurt Melcher, im Juli erst vom Reichskanzler Papen ins Amt gerufen, als die sozialdemokratische Landesregierung beim Preußenschlag abserviert wurde. Papen hatte Melcher aus Essen importiert. Seine Glatze glänzte im Licht des Lüsters, der schwer von der Decke hing. Etwas abseits in der Ecke saß ein zweiter Mann, in der Uniform eines Oberleutnants der Reichswehr. Er nickte mir zu. Es war ein
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