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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
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Huppendorfer
und dann«, er wedelte aufmunternd mit der rechten Hand, »husch, husch, an die
Arbeit.« Er musterte Lagerfeld noch einmal demonstrativ von oben bis unten.
»Und Duschen wäre übrigens auch keine schlechte Idee.« Sprach’s, drehte sich um
und verschwand ohne weiteres Federlesen in seinem gläsernen Domizil.
    Langsam
dämmerte in seinem erwachenden Geist die Wirklichkeit herauf. Sein Kopf
dröhnte, alles um ihn herum wirkte noch äußerst verschwommen. Als er einatmete,
spürte er einen rauchigen Geschmack auf seiner Zunge. Das Erste, was sich ihm
klar und eindeutig offenbarte, war die große Hitze und eine kurz darauf
folgende Explosion, die einen Schwall noch größerer Hitze über seinen
bäuchlings am Boden liegenden Körper trieb. Mühsam drehte er seinen Kopf und
konnte das lichterloh brennende Wrack eines Fahrzeuges erkennen, neben dem er
etliche Meter entfernt aufgewacht war. Rechts und links von ihm polterten
qualmende Teile zu Boden.
    Verzweifelt
versuchte er sich zu erinnern, was passiert war. Aber je länger er nachdachte,
desto größer wurde das Gefühl der Hilflosigkeit. Er konnte sich schlicht an
nichts mehr erinnern. Nicht mehr, wer er war. Nicht mehr, wo er sich befand,
und schon gar nicht mehr, warum er neben einem brennenden Wrack lag. Stöhnend
erhob er sich, kam auf die wackligen Füße und torkelte von der glühenden Hitze
fort. Als die Temperaturen einigermaßen erträglich waren, schaute er sich um.
Er stand inmitten eines unbekannten Waldes, auf einem halb eingewachsenen Weg,
der schnurgerade durch das Waldstück zu führen schien. Rechts und links von ihm
erhoben sich riesige Nadelbäume, durch den Dschungel konnte man keine zwanzig
Meter weit sehen. Das hier hatte schon fast etwas von Kanada, schoss es ihm
durch den Kopf, bevor er an sich herunterblickte. Er steckte in einem grauen,
reichlich angesengten Overall, der ihm etwas zu groß war. Hinweise auf seine
Identität fand er keine, registrierte aber, dass etwas fett und schwarz auf der
Innenseite seiner Handfläche geschrieben stand.
    »Hau ab!«
    Doch
bevor er sich noch Gedanken über die Bedeutung der Worte machen konnte, hörte
er aus Richtung des explodierten Wracks ein Geräusch. Ein trockenes Knacken,
als ob jemand durch den Wald läuft. Trotz seines Blackouts versetzte ihm das
Geräusch einen schmerzhaften Stich in die Magengrube. Instinktiv setzte sich
sein Körper ohne sein Zutun in Bewegung, und er begann zu laufen. Adrenalin
flutete kurz und heftig seine Adern. Wer war er? Was passierte hier? Warum
rannte er durch einen düsteren Wald, und vor allem: War jemand hinter ihm her?
Eine Frage erschien ihm mysteriöser als die andere, und trotzdem fühlte er sich
ruhig. In ihm gab es keine Panik, nur entschlossene Konzentration. Und das,
obwohl er keine konkrete Vorstellung über sein spezifisches Dasein hatte. Das
Einzige, was ihm sofort klar war, war die Tatsache, dass er offensichtlich ein
guter Läufer war, ein ausgesprochen guter sogar.
    Lagerfeld
und Cesar Huppendorfer saßen schweigend im geschlossenen Cabrio des
Renovierungskommissars und fuhren auf der Hallstadter Straße stadtauswärts. Der
Halbbrasilianer Huppendorfer traute sich nicht, in der angespannten Situation
etwas zu sagen, und Lagerfeld hatte erst recht keine Lust auf ein Gespräch.
Sein Bedarf an Kommunikation – und zwar mit beiderlei Geschlecht –
war gedeckt. Schweigend überquerten sie die Autobahn Richtung Schweinfurt,
standen in der Ortsmitte von Hallstadt an der Ampel, die sich wie alle anderen
an der Kreuzung durch die längste rote Phase der Welt auszeichnet, um dann
schließlich in Breitengüßbach links nach Baunach abzubiegen. Jetzt fühlte sich
Kommissar Huppendorfer doch zu einem Kommentar genötigt, da die gesamte
Ortschaft mit Transparenten zugepflastert worden war, auf denen sich über den
immer stärker werdenden Durchgangsverkehr aufgeregt wurde. Da konnte man Sprüche
lesen wie »Tod dem Durchgangsverkehr!« oder »Auch wir haben ein Recht zu
schlafen!« oder auch leicht unpassende Kommentare wie etwa »Fukushima ist
überall!«.
    »Die sind
wohl wegen der Autobahn etwas aufgebracht, was?«, sagte Huppendorfer erstaunt,
da er die Gegend eher selten zu frequentieren pflegte.
    »Manchmal
muss mer sich hal aach amol aufregen«, erhielt er sofort die bissige Antwort
von seinem weiß gefärbten Kollegen.
    Huppendorfer
zog genervt die Augenbrauen zusammen. Beziehungsstress hatte ja wohl jeder
irgendwann. Männlein wie Weiblein.
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