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Der Coach

Titel: Der Coach
Autoren: John Grisham
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Luft. Das Johlen einer längst verschwundenen Menschenmenge, die dicht an dicht oben auf der Tribüne hockte, klang ihm wieder in den Ohren, und mittendrin die Kapelle, die immer und immer wieder das Schlachtlied der Spartans schmetterte. An der Seitenlinie, nur ein paar Meter entfernt, sah er den Spieler mit der Nummer 19, der sich voller Nervosität warm machte, während ihm die Menge huldigte. Die 19 trug den Titel »All-American« als bester Spieler der HighschoolLiga und war ein umworbener Quarterback mit goldenem Wurfarm, wendigen Beinen und kräftigen Muskeln, vielleicht der beste, den Messina je hervorgebracht hatte.
    Die 19, das war Neely Crenshaw in einem anderen Leben.
    Er ging ein paar Schritte an der Seitenlinie entlang, blieb bei der Fünfzig-Yard-Linie stehen, von der aus Rake hunderte von Trainingsspielen überwacht hatte, und schaute noch einmal zu den schweigenden Tribünen hinüber, wo sich früher am Freitagabend zehntausend Menschen versammelt hatten, um ein HighschoolFootball-Team zu feiern.
    Wie er gehört hatte, waren es inzwischen nur noch halb so viele.
    Fünfzehn Jahre waren vergangen, seit die 19 die Massen begeistert hatte. Fünfzehn Jahre, seit Neely auf dem geheiligten Boden gespielt hatte. Wie oft hatte er sich geschworen, niemals zu tun, was er nun getan hatte? Wie oft hatte er gelobt, niemals zurückzukommen?
    Auf dem abgelegenen Trainingsfeld pfiff ein Coach ab, und jemand rief etwas, doch Neely nahm es kaum wahr. Er hörte nur das Trommlerkorps der Kapelle, die heisere, unvergessliche Stimme von Mr. Bo Michael aus der Lautsprecheranlage und das ohrenbetäubende Poltern, wenn die Fans auf den Tribünen auf- und absprangen.
    Und er hörte Rake brüllen und knurren, obwohl sein Coach im Eifer des Gefechts nur selten die Beherrschung verlor.
    Da drüben waren die Cheerleader mit ihren Sprüngen, Sprechchören, den kurzen Röcken, den sonnengebräunten, durchtrainierten Beinen. Neely hatte damals freie Auswahl gehabt.
    Seine Eltern hatten immer auf Höhe der Vierzig-YardLinie gesessen, acht Reihen unterhalb der Pressekabine. Vor jedem Kickoff winkte er seiner Mutter zu. Sie betete fast ununterbrochen während des Spiels und rechnete jedes Mal damit, dass er sich das Genick brechen würde.
    Die Talentsucher der verschiedenen Colleges bekamen Karten für eine bestuhlte Reihe auf Höhe der FünfzigYard-Linie; es waren die besten Plätze. Beim Spiel gegen Garnet Central wurden achtunddreißig Talentsucher gesichtet, und alle wollten die 19 sehen. Über hundert Colleges traten in Kontakt mit ihm; sein Vater bewahrte die Briefe immer noch auf. Einunddreißig von ihnen boten ihm ein Stipendium an. Als Neely sich schließlich für das Tech’s College entschieden hatte, gab es eine Pressekonferenz und Zeitungsberichte.
    Zehntausend Tribünenplätze in einer Stadt mit achttausend Einwohnern. Mathematisch ließ sich das nicht lösen. Doch die Leute strömten von überall aus der Umgebung herbei, vom Land, wo es an einem Freitagabend nichts anderes zu tun gab. Sie nahmen ihren Gehaltsscheck in Empfang, kauften sich ein paar Bier, und dann fuhren sie in die Stadt, zum Feld. Dort rotteten sie sich als lärmender Haufen auf der Nordseite der Tribüne zusammen und machten mehr Krach als die Schüler, die Kapelle und die Einwohner von Messina zusammen.
    Als Neely klein gewesen war, hatte ihn sein Vater von der Nordseite fern gehalten. Die »Leute vom Land« tranken, prügelten sich manchmal und beschimpften die Schiedsrichter hemmungslos. Ein paar Jahre später liebte die Nummer 19 den Lärm, den die Leute vom Land veranstalteten, und sie wiederum liebten ihn.
    Jetzt war es still auf den Tribünen; sie schienen zu warten. Neely ging langsam an der Seitenlinie entlang, die Hände tief in den Taschen vergraben, ein vergessener Held, dessen Licht nur kurz geleuchtet hatte. Der Quarterback von Messina, drei Saisons hindurch. Über hundert Touchdowns. Auf diesem Feld hatte er nie verloren. Erinnerungen an die Spiele kamen hoch, obwohl er versuchte, sie zu verdrängen. Das ist vorbei, sagte er sich zum hundertsten Mal. Lange vorbei.
    In der Endzone auf der Südseite hatte der Fanklub eine riesige Anzeigetafel aufstellen lassen. Um sie herum wurde in breiten grünen Buchstaben auf großen weißen Flächen die Footballgeschichte von Messina erzählt – und damit auch die Geschichte der Stadt. Ungeschlagen in den Saisons 1960 und 1961, als Rake noch nicht einmal dreißig war. 1964 begann die Große Serie: eine
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