Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt
Autoren: Argirov Valentin
Vom Netzwerk:
wegen Bauchschmerzen eingewiesen worden!« Mit dem Finger tippte er auf die Einweisungsdiagnose.
    »Ach«, sagte Lisa geringschätzig, »ich hab's nur gesagt, weil …« Unter seinem prüfenden Blick bewegte sie sich im Bett und wurde sich bewußt, daß alle im Zimmer ihr Gespräch verfolgten. Die rot gefärbte Nachbarin hatte mit dem Nagelfeilen aufgehört. Lisa konnte unmöglich zugeben, daß sie den Hausarzt belogen hatte.
    »Ich hab' ein bißchen Schmerzen gehabt«, sagte sie kleinlaut, »jetzt ist es vorbei und vergessen.« Sie wünschte sich, er würde sie nicht so prüfend anschauen.
    »Zunächst muß ich Sie untersuchen«, sagte er. Aus seiner Kitteltasche holte er ein Stethoskop mit weichen roten Schläuchen. »Dann werden wir weitersehen. Machen Sie sich frei.«
    »Ja«, murmelte Lisa. Sie spürte, daß sie in eine peinliche Lage geraten war, und genierte sich. Hastig zog sie ihr Nachthemd über den Kopf, die Perlenknöpfe verfingen sich in ihrem üppigen Haar, und bevor sie sich's versah, klopfte er ihren Rücken ab und untersuchte sie. Dann mußte sie sich hinlegen, und er drückte auf ihren Bauch, auf die Stelle, wo sie angeblich Schmerzen hatte, und machte ein so finsteres Gesicht, daß sie zwischen zwei tiefen Atemstößen erschrocken fragte: »Ich bin doch nicht krank, Herr Doktor?«
    »Atmen Sie ein«, befahl er kurz, und von neuem bohrte er seine Fingerspitzen tief in ihre Bauchdecke, bestrebt, die Bauchorgane abzutasten. Die Kühle seiner Hände empfand Lisa auf ihrer jetzt glühenden Haut als wohltuend.
    »Ich hab' heute meine Periode«, murmelte sie und betrachtete bekümmert ihre entblößten Brüste, wo sich eine Falte unter dem bräunlichen Pigment der Knospen bildete. Wie für jede Frau bedeuteten auch für sie welke Brüste ein unbestechliches Zeichen des Altwerdens. Für ihre achtunddreißig Jahre hatte Lisa einen schönen, unverbrauchten Körper, groß und weiß. Wie sie jetzt entblößt auf dem Bett lag, wirkte sie sehr weiblich. Lisas Gesicht war nicht schön. Als sie noch ein junges Mädchen war, hatte man die Härte ihrer Mundpartie kaum beachtet – jetzt wandelte sich diese Härte in einen Ausdruck der Verbitterung. Ihre braunen, lang herabfallenden Locken wurden von silbrigen Haarfäden durchzogen. Doch ihre Wangen zeigten, wenn sie sich aufregte, die unveränderte Kirschröte ihrer Jugend.
    »Es genügt«, sagte der junge Arzt und ließ plötzlich von ihrem Bauch ab. »Sie dürfen sich anziehen.« Obwohl die Untersuchung fertig war, machte er die gleiche feierlich ernste Miene, die Lisa Unbehagen einflößte.
    »Mir fehlt doch nichts, Herr Doktor?« fragte sie unsicher und ließ dieses knabenhaft-unfertige Gesicht nicht aus den Augen. Er lächelte nicht und zog beim Sprechen seine Oberlippe hoch; zwei falsche Vorderzähne wurden sichtbar. Sein Name stand über der Brusttasche seines Kittels auf einem blauen Schildchen: Dr. Fritsch. Und weil er sie schweigsam mit nachdenklichen Augen ansah, wiederholte sie ihre Feststellung: »Ich bin keine eingebildete Kranke. Ich werde schon wissen, was mir fehlt …«
    Jetzt sah er an ihr vorbei. »Die Sache ist … Sie haben eine Walze im Oberbauch, fast mannsfaustgroß. Ein Tumor.«

3
    Was zu Lisas weiterer Verwirrung beitrug, war zweifellos dieses unheimliche Krankenzimmer. Zutiefst unglücklich lag sie in ihrem Bett und spürte, wie sie immer niedergeschlagener wurde. Sie war hergekommen, weil sie Zuflucht vor Erwins Verrat suchte – nun sagte man ihr auf den Kopf zu, daß sie einen Bauchtumor hätte. Alles, was sie brauchte, war ein Halt, eine verständnisvolle Geste, ein nettes Wort; statt dessen steckte man sie in dieses Zimmer.
    Von ihrem Bett aus sah Lisa in der Reihe des mageren Mädchens und der blaugesichtigen Frau noch zwei weitere Frauen mit breiten, slawischen Gesichtern, die schon eine Weile mucksmäuschenstill in ihren Betten lagen und gleichmütig auf die Bettdecke starrten.
    Im schmalen Gang zwischen den Bettreihen ging eine Türkin unentwegt auf und ab. Vor sich trug sie einen Plastikbeutel, der mit einem Katheter an ihre Harnblase angeschlossen war. Vor Lisas verblüfften Augen füllte sich dieser Beutel mit bernsteinfarbenem Urin.
    Einmal blieb sie vor Lisas Bett stehen und sagte bedeutungsvoll: »Ich krank, du krank!« Dann ging sie weiter. »Die spinnt«, bemerkte Lisas rothaarige Nachbarin. Trotz ihres hochmütigen Blicks erwies sie sich als äußerst gesprächig. Sie gab sichere Urteile ab, von denen Lisa etliche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher