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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen King
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auf den Hof, eine rauchen. Wir haben da am Parkplatz eine Bank, von der man einen hübschen Ausblick nach Westen hat. Ned Wilcox saß schon auf der Bank, sein Schreiben von der Pitt in Händen, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. Er sah mich kurz an, schaute dann wieder weg und rieb sich mit der Hand die Augen.
    Ich setzte mich zu ihm, wollte ihm schon einen Arm um die Schultern legen und ließ es dann doch bleiben. Wenn man bei so was erst überlegen muss, kommt es einem meistens geheuchelt vor, es auch zu tun. Ich habe nie geheiratet, und was ich über das Vatersein weiß, könnte man auf einen Nagelkopf schreiben, und dann wäre da noch Platz für das Vaterunser. Ich steckte mir eine Zigarette an und nahm ein paar Züge. » Es ist schon gut, Ned«, sagte ich schließlich. Das war das Einzige, was mir einfiel, und ich hatte keine Ahnung, was ich damit sagen wollte.
    » Ich weiß«, sagte er sofort mit gedämpfter, tränenerstickter Stimme und dann gleich hinterher: » Nein, ist es nicht.«
    Statt » No, it isn’t« sagte er » No, it ain’t«, und als ich ihn dieses Wort, dieses ain’t verwenden hörte, wurde mir klar, wie sehr er litt. Irgendetwas hatte ihn zutiefst getroffen. Es war ein Wort, das er sich eigentlich längst abgewöhnt hatte, damit man ihn nicht in einen Topf warf mit den Hinterwäldlern von Statler County, den Assis von Patchin und Pogus City. Selbst seine Schwestern, die acht Jahre jünger waren als er, sagten wahrscheinlich nicht mehr ain’t, und zwar aus den gleichen Gründen. Ain’t – mein Kind, das sagt man nicht; sonst macht dein Dad ein bös’ Gesicht. Ach ja, was denn für ein Dad?
    Ich rauchte und schwieg. Am anderen Ende des Parkplatzes standen hinter einem gemeindeeigenen Streusalzhügel eine Reihe von Holzgebäuden, die entweder mal auf Vordermann gebracht oder abgerissen gehörten. Dort war früher der Maschinen- und Fuhrpark der Gemeinde untergebracht gewesen. Statler County hatte seine Schneepflüge, Straßenhobel, Bulldozer und Planierraupen zehn Jahre zuvor gut eine Meile weiter in ein neues Backsteingebäude verlegt, das wie ein Hochsicherheitstrakt aussah. Geblieben waren nur der Salzhügel (den wir nun selber peu à peu abtrugen – früher war dieser Hügel ein richtiger Berg gewesen) und ein paar baufällige Holzgebäude. Eines davon war der Schuppen B. Die schwarzen Lettern über dem Tor – so ein breites Garagentor, das sich an einer Schiene hochfahren ließ – waren verblichen, aber noch lesbar. Dachte ich an den Buick Roadmaster darin, als ich dort neben dem weinenden Jungen saß, ihn am liebsten in den Arm genommen hätte und nicht wusste, wie ich das anstellen sollte? Ich weiß es nicht. Aber man weiß ja schließlich auch nicht immer, woran man so alles denkt. Freud mag viel Quatsch verzapft haben, aber damit hatte er recht. Ich weiß nicht, ob es so was wie ein Unterbewusstsein gibt, aber auf jeden Fall schlägt in unserem Kopf ein Puls genau wie in unserer Brust, und dieser Puls trägt ungeformte, nichtsprachliche Gedanken mit sich, die wir meist selbst nicht verstehen, die aber oft sehr wichtig sind.
    Ned wedelte mit dem Brief. » Ihm will ich das zeigen. Er wollte auf die Pitt, als er jung war, aber er konnte es sich nicht leisten. Er ist der Grund dafür, dass ich mich da überhaupt beworben habe!« Schweigen. Und dann, so leise, das s i ch es fast nicht hörte: » So eine verdammte Scheiße, Sandy.«
    » Was hat deine Mutter gesagt, als du ihr den Brief gezeigt hast?«
    Da lachte er, unter Tränen, aber aufrichtig. » Gesagt hat sie nichts. Geschrien hat sie, wie die Frauen im Fernsehen immer, wenn sie gerade eine Reise auf die Bermudas gewonnen haben. Und dann hat sie geweint.« Ned sah mich an. Er weinte nicht mehr, aber seine Augen waren rot und verquollen. In diesem Moment sah er viel jünger aus als achtzehn. Das reizende Lächeln war für einen Moment wieder da. » Also, sie hat sich toll verhalten. Sogar J&J haben sich toll verhalten. Und ihr auch. Als Shirley mich geküsst hat … Mann, da ist mir heiß und kalt geworden.«
    Ich lachte und dachte, dass es Shirley eventuell genauso ergangen war. Sie mochte ihn, er war ein hübscher Junge, und vielleicht hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, einen auf Mrs. Robinson zu machen. Es war eher unwahrscheinlich, aber undenkbar war es nicht. Von ihrem Mann war damals schon seit fast fünf Jahren keine Rede mehr.
    Neds Lächeln schwand. Er wedelte wieder mit dem Annahmeschreiben. » Ich wusste
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