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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Autoren: Richard Dawkins
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eigentlich gar kein Anhänger dieses Glaubens sein, also bat ich sie, mir ehrlich zu sagen, warum sie sich so verhalten hatte. Sie gab offen zu, sie habe lediglich ihre Debattierkunst geübt und es als eine größere Herausforderung empfunden, eine Position zu vertreten, an die sie nicht glaube. Offenbar ist es in den Debattierklubs der Universitäten üblich, daß man den Sprechern einfach vorschreibt, welche Seite sie zu vertreten haben. Die eigenen Überzeugungen haben damit nichts zu tun. Ich war von weit her angereist, um die unangenehme Aufgabe zu erfüllen, eine öffentliche Rede zu halten, denn ich glaubte an die Wahrheit des Themas, das vorzutragen man mich gebeten hatte. Als ich merkte, daß die Mitglieder des Klubs die Themen als Vehikel für Argumentationsspiele benutzten, entschloß ich mich, in Zukunft Einladungen von Debattierklubs auszuschlagen, soweit sie das unehrliche Verfechten von Fragen ermutigen, bei denen die wissenschaftliche Wahrheit auf dem Spiel steht.
    Aus Gründen, die mir nicht ganz klar sind, scheint der Darwinismus in stärkerem Maße einer Verteidigung zu bedürfen als ähnlich etablierte Wahrheiten in anderen Zweigen der Naturwissenschaft. Die meisten von uns verstehen weder die Quantentheorie noch Einsteins Theorie der speziellen und der allgemeinen Relativität; aber das an sich veranlaßt uns noch nicht, gegen diese Theorien zu sein. Anders als beim »Einsteinismus« scheinen Kritiker mit den verschiedensten Graden von Unbedarftheit im Darwinismus eine Art Freiwild zu sehen. Ein Problem am Darwinismus ist, so nehme ich an, daß, wie Jacques Monod scharfsinnig bemerkt hat, jeder meint, er verstünde ihn. Er ist wirklich eine erstaunlich einfache Theorie - kindisch einfach, könnte man meinen, im Vergleich zu fast der gesamten Physik und Mathematik. Im Kern ist er nichts anderes als die Idee, daß nichtzufällige Reproduktion weitreichende Konsequenzen hat, wenn erbliche Variation besteht und genügend Zeit vorhanden ist, so daß diese Konsequenzen kumulieren können. Aber es spricht viel dafür, daß diese Einfachheit täuscht. Man darf nicht vergessen: So einfach die Theorie auch scheinen mag, sie ist von niemandem gedacht worden, bis Darwin und Wallace sie Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten - fast 300 Jahre nach Newtons Principia und mehr als 2000 Jahre, nachdem Eratosthenes die Erde gemessen hat. Wie konnte eine so einfache Idee von Forschern wie Newton, Galilei, Descartes, Leibniz, Hume und Aristoteles so lange unentdeckt bleiben? Warum mußte sie auf zwei viktorianische Naturforscher warten? Warum haben Philosophen und Mathematiker sie übersehen? Und wie kommt es, daß eine derart überzeugende Idee noch immer nicht wirklich in das öffentliche Bewußtsein eingedrungen ist?
    Es sieht fast so aus, als wäre das menschliche Gehirn spezifisch dafür eingerichtet, den Darwinismus mißzuverstehen und schwer verständlich zu finden. Man denke etwa an die Frage des »Zufalls«, oft auch als blinder Zufall dramatisiert. Die große Mehrheit derer, die den Darwinismus angreifen, stürzt sich mit fast unziemlichem Eifer auf den irrigen Gedanken, daß nichts andres an ihm sei als willkürlicher Zufall. Da lebende Komplexität die genaue Antithese des Zufalls darstellt, ist es offensichtlich leicht, den Darwinismus abzulehnen, wenn man ihn für gleichbedeutend mit Zufall hält! Es wird eine meiner Aufgaben sein, diesen hartnäckigen Mythos, daß der Darwinismus eine Theorie des »Zufalls« sei, zu zerstören. Aber wir scheinen noch auf andere Weise prädisponiert, den Darwinismus anzuzweifeln: Unser Gehirn ist dafür gebaut, sich mit Ereignissen zu befassen, die nach vollkommen anderen Zeitmaßstäben erfolgen als jene, die für den evolutiven Wandel charakteristisch sind. Wir sind dafür gerüstet, Vorgänge zu beurteilen, die Sekunden, Minuten, Jahre oder höchstens Jahrzehnte dauern. Der Darwinismus ist eine Theorie so langsamer kumulativer Vorgänge, daß es bis zu ihrem Abschluß zwischen Tausenden und Millionen von Jahrzehnten dauern kann. Alle unsere intuitiven Urteile darüber, was wahrscheinlich ist, erweisen sich um viele Größenordnungen falsch. Unser fein eingestellter Apparat der Skepsis und subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorie versagt um einen gewaltigen Faktor, ist er doch
    - ironischerweise von der Evolution selbst - darauf eingerichtet worden, in einer Lebenszeit von nur wenigen Jahrzehnten wirksam zu sein. Es erfordert Phantasie, dem Gefängnis des uns vertrauten
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