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Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games

Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games

Titel: Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
Autoren: Duane Swierczynski
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noch nie geflogen war. Überhaupt noch nie . Gleichzeitig erschreckte sie der Gedanke, sie könnte jemanden aus der Maschine kennen. Und sie machte sich Sorgen, dass Bobby immer noch nicht zurück war, während sie gleichzeitig von Schuldgefühlen geplagt wurde. Vielleicht hatte er es irgendwie erfahren. Erfahren, was sie in den Weihnachtsferien wirklich getrieben hatte, und jetzt würde er nie wieder zurückkehren.
    Komm schon, Bobby. Wo steckst du?
    Kurz vor Mitternacht hatte jemand eine Liste mit Namen erstellt; sie wurde im Studentenwerksgebäude kopiert und anschließend verteilt. Als Julie an der Wiese vorbeilief, drückte man ihr eine davon in die Hand. Sie machte sich darauf gefasst, einen vertrauten Namen zu lesen, und …
    Nein.
    Ausgeschlossen.
    Völlig ausgeschlossen.

    Julie tippte die Zahlenkombination – 24,3,15  – in die Metallknöpfe an Bobbys Tür und drehte den Türknauf. Die Wohnung war zwei Wochen lang unbewohnt gewesen, und das konnte man riechen. Julie suchte das Zimmer nach dem Übeltäter ab. Jemand hatte ein angebissenes Sandwich in den Plastikabfalleimer geworfen. Außerdem stand die übliche Sammlung von mit Asche bedeckten Pepsi-Dosen herum. Bobbys Mitbewohner benutzte sie als provisorische Aschenbecher, während er im Schneidersitz auf dem Boden hockte und pausenlos Cure-Platten hörte. Rauch und vergammeltes Fleisch  – eine teuflische Mischung. Julie bedeckte ihr Gesicht mit dem Ärmel ihres Pullis und beförderte mindestens ein Dutzend Pepsi-Dosen in den Abfalleimer, dann brachte sie ihn zum Ende des Flurs, wo sie ihn entsorgte. Allerdings wusste sie nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe machte. Keiner der Bewohner dieses Zimmers würde je wieder zurückkehren.
    Was Julie nicht kapierte  – und was ihre Trauer zurückhielt, zumindest vorübergehend  – war die unerklärliche Tatsache, dass Bobby in der Maschine gewesen war. Normalerweise hielt er sich nicht mal in der Nähe eines Flugzeugs auf. Sie hatte angenommen, dass er zu Hause war und halbtags mit seinem Vater arbeitete, um das Geld für die Studiengebühren zu verdienen. Er war nicht unterwegs, um Häuser für die Bedürftigen zu bauen. Hey, Bobby war ja selbst einer von den Bedürftigen und finanzierte sein teures Studium hauptsächlich selbst.
    Warum war er in der Maschine gewesen?
    Vielleicht fand sich auf Bobbys Schreibtisch irgendwo ein Hinweis. Er stand direkt in der Ecke unter dem Fenster;
darauf herrschte ein mittelschweres Chaos, er war mit Unterlagen, Notizblöcken und Taschenbuchausgaben diverser Romane übersät. Bobby studierte im Hauptfach englischsprachige Literatur und hatte in diesem Semester ein Seminar über Kriegsliteratur belegt  – um sich, wie er es formulierte, »zweimal pro Woche in tiefste Depressionen zu stürzen«. Doch insgeheim gefiel es ihm ganz gut. Oben auf dem Stapel lag ein Buch, über das Bobby seine Abschlussarbeit geschrieben hatte  – Tim O’Briens Was sie trugen . Julie war nicht gerade eine Leseratte. Er hatte sie förmlich dazu zwingen müssen, seine Lieblingsstory aus der Sammlung zu lesen: »Das Schätzchen vom Song Tra Bong«, über einen Typen im Vietnamkrieg, der es irgendwie schafft, seine Freundin ins Kampfgebiet zu schmuggeln. Nach ihrer Ankunft passt sie sich den Gegebenheiten vor Ort an  – sie schnallt sich ein Gewehr um, beschmiert ihre zarte Haut mit Tarnfarbe und pirscht auf der Suche nach feindlichen Soldaten durch den feuchten Dschungel.
    »Das würdest du doch auch für mich tun, oder?«, hatte Bobby gefragt.
    »Her mit der Munition, du alter Haudegen«, hatte Julie geantwortet.
    Und Bobby hatte einen affektierten Schrei ausgestoßen  – seine alberne Prince-Imitation, die auf Partys ein echter Kracher war. Ein hühnerartiges Kreischen, das von den oberen Stimmlagen in eine schnell absteigende Folge von Tönen mündete, bevor es sich erneut in aberwitzige Höhen hinaufschraubte. Es klang nicht im Geringsten nach Prince, doch es ging nicht darum, ihn haargenau zu imitieren. Sie
hatte ihm einmal gestanden, dass sie als kleines Mädchen Prince-Fan gewesen war, und Bobby zog sie gnadenlos damit auf. Auf den Schrei folgten die beknackten Handbewegungen aus Purple Rain :
    I
    Would
    Die
    4
    U
    Beim letzten Buchstaben zeigte er direkt auf sie. Und ohne es zu wollen, musste sie jedes Mal kichern und nannte ihn einen Blödmann. Er war ein richtiger Spinner, ihr Bobby.
    Doch jetzt, im leeren Zimmer des Wohnheims …
    Hier lagen weder Flugscheine
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