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Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games

Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games

Titel: Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
Autoren: Duane Swierczynski
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sie das alles für eine gute Idee gehalten. Für eine Art Exorzismus. Um reinen Tisch zu machen, bevor sie hoffentlich wieder in die Normalität zurückkehrte. Mein Gott, was für eine Woche.
    Sie hatte Bobby seit Beginn der Weihnachtsferien nicht mehr gesehen. Seit er in der Nacht vor Heiligabend wortlos verschwunden war. Sie hatte nur flüchtig mitbekommen, wie er ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte, bevor er die Treppe hinunter durch die Tür des Stadthauses in den kühlen Dezembermorgen verschwunden war. Er hatte nichts weiter zurückgelassen als den Anfang einer dürftigen Abschiedsbotschaft, die sie später aus dem Papierkorb in seinem Schlafzimmer fischte.

    Was für ein Wichser, dachte sie.
    Trotzdem wollte sie noch mal Gnade vor Recht ergehen lassen. Vielleicht hatte das Semester Bobby so geschlaucht, dass er etwas Zeit für sich brauchte. Also beschloss sie, in der ersten Woche der Ferien ein braves Mädchen zu sein. Fuhr nach Hause, absolvierte das Weihnachtsprogramm. Ließ sich ein wenig mit teurem Weißwein volllaufen  – ihr Vater würde ihn wohl kaum vermissen  –, schaute fern und versuchte sogar, etwas von der Lektüreliste fürs nächste Semester abzuarbeiten.
    Doch an Silvester hatte sie genug davon, das brave Mädchen zu spielen. Sollte sie etwa das Leben einer Nonne führen? Nur weil Bobby fort war und sich wegen jeder Kleinigkeit gleich aufregte? Also rief sie schließlich Chrissy Gianni an und verabredete sich mit ihr; sie landeten auf einer Hausdachparty, in einem weiß gefliesten Badezimmer mit unbekannten Leuten und einem Toilettendeckel voller Koks. Sie war betrunken genug, um sich hinzuknien, so dass sie die kalten Fliesen durch ihre schwarzen Strümpfe spürte. Betrunken genug, um sich nach vorne zu beugen und eine Nase davon durchzuziehen. Und damit verabschiedete sich das brave Mädchen in ihrem Innern in einen langen Winterschlaf.
    Die zweite Woche der Ferien verlief mehr oder weniger wie in Unter Null   – Julie konnte förmlich hören, wie die Bangles »A Hazy Shade Of Pure Coke« sangen. Nur, dass sie von einer Uni im Westen an die Ostküste zurückgekehrt war, und dass Main Line Philadelphia nicht gerade L.A. war. In schwindelerregendem Tempo folgte Party auf Party, ging es von Apartment zu Apartment und schließlich ins
Studentenwohnheim. Sie traf sich mit einem Exfreund von der Highschool, von dem sie geglaubt hatte, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Sie verbrachten eine gefühlte Ewigkeit auf einer Matratze in einem Hochhausapartment nahe der University of Pennsylvania, während Julie darauf bestand, dass ihr Ex seine Hände oberhalb der Gürtellinie behielt. Doch betrunken wie er war, weigerte er sich hartnäckig und grinste in einem fort. Später am Abend kroch sie mit ihren Klamotten im Schlepptau in den Flur und wünschte, das Pochen in ihrem Schädel würde aufhören. Gegen eine schmutzige Wand gestützt, zog sie sich wieder an, während sie von einem übermächtigen Gefühl der Reue gepackt wurde. Was zum Henker habe ich getan? Und was mache ich hier gerade?
    Das Schamgefühl begleitete sie bis zum Haus ihres Vaters. Es war verlassen, kalt und still. Der Winter in Philadelphia hatte ihren Lieblingsplatz, den Garten, in eine Eiswüste verwandelt. Ihr blieb nur noch der Campus. Zwei teure Taxifahrten später war sie am Flughafen, bestieg die Maschine Richtung Uni und wünschte sich, letzte Woche einfach löschen zu können. In ihrer Wohnung machte sie es sich neben der Heizung gemütlich und versuchte, etwas zu lesen und Kaffee zu trinken, aber sie konnte nur noch an Bobby denken und nahm sich vor, nie wieder so etwas Dummes zu tun.
    Inzwischen war es Morgen geworden. Sonntagmorgen, und sie musste irgendwie den Tag rumkriegen. Am Nachmittag würde der Bus eintreffen.
    Doch der Bus kam nie an.
    Am Abend machte auf dem Campus folgende Nachricht
die Runde: In der Wüste von Nevada, außerhalb von West Wendover, war eine Chartermaschine abgestürzt, dabei waren vierundzwanzig Menschen ums Leben gekommen. Allesamt Studenten der Leland University, auf dem Rückweg von einem Ferienprojekt, in dem sie für bedürftige Menschen Häuser errichtet hatten.
     
    Die Studenten hockten rauchend auf dem Rasen, einige hielten Kerzen in der Hand, andere weinten. Sie waren wie benommen. Julie wurde von einer Reihe widersprüchlicher Gefühle überwältigt. Erleichterung, dass Bobby nicht geflogen war  – ja, es hatte sie amüsiert, als er ihr erzählt hatte, dass er
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