Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Titel: Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
»Sind wir heute wieder spätpubertär rebellisch? Mit
34?«
    »35. Vater.«
    »Sie hat nur ein schlechtes Gewissen wegen der Verspätung«, bemühte
sich Evelyn sofort um Deeskalation.
    Walter strich seiner Frau zärtlich über die Wange: »Schon gut. Wir
spielen doch nur, Häschen.«
    Das Spiel, wie Walter es nannte, existierte in der Standard- und der
verschärften Professional-Version. Welche Version gespielt wurde, bestimmte der
erste Zug, der immer Anna vorbehalten war. Heute hatte sie durch ihre nur
geringe Verspätung und das der bürgerlichen Elbchaussee-Domäne angepaßte
Kostümchen die Standard-Variante eröffnet. Nach dem Kaffee, der zu kontroversen
Diskussionen über Politik und Kultur Hamburgs eingenommen worden war, stolperte
Evelyn, die die Spielregeln noch nie begriffen hatte, ahnungslos in die
Professional-Version:
    »Frau Dosse hat im Vorlesungsverzeichnis ihres Sohnes gelesen, daß
du wieder einen von deinen gräßlichen Vorträgen hältst.«
    »Ja, Mama. Heute abend.«
    »Muß das denn sein? Du verdienst doch genug Geld.«
    »Ja, Mama.«
    Evelyn seufzte, Walter stichelte: »Unsere Tochter interessiert sich
nun mal brennend für Gewalt.«
    Evelyns Gesicht verfinsterte sich.
    »Davon willst du nichts hören, Mama, ich weiß«, fügte Anna
schmallippig hinzu. Abrupt erhob sich Evelyn und forderte die beiden auf, in
der Bibliothek noch einen Cognac zu nehmen. Zur Feier des Tages.
    Als sie dort in den Clubsesseln aus Saffianleder zwischen Hunderten
von Büchern Platz genommen hatten, ihre dezent gefüllten Cognacschwenker in der
Hand, zeigte Walter auf den Schachtisch aus Ahorn und Ebenholz, auf dem die
Figuren aufgestellt waren.
    »Wir haben schon lange nicht mehr gespielt«, sagte er.
    »Du meinst Schach?« gab Anna zurück.
    Er nickte. »Wann hättest du denn Zeit?«
    Anna gab keine Antwort.
    »Dein Vater hat dich was gefragt«, mischte Evelyn sich ein.
    Anna blickte ihre Mutter verächtlich an: »In dieser Familie gibt es
viele Fragen, die nicht beantwortet werden.« Dann wandte sie sich an ihren
Vater: »Wenn ich den blutroten Faden von eben noch einmal aufgreifen darf.
Vater. Wie du sehr wohl weißt, interessiere ich mich mitnichten für Gewalt, sie
stößt mich ab, du hast keine Vorstellung, wie sehr. Mich interessiert die
Rezeption von Gewalt. Ich werde heute über die Psyche von Frauen referieren,
die sich in Killer verlieben. Einige heiraten sogar mehrfache Mörder noch im
Knast, ohne sie jemals in Freiheit erlebt zu haben. Ich rede über weibliche
Verhaltensmuster, über Opferrolle, Helfersyndrom, Angst, Sehnsucht, Nähe …«
    »Du weißt, daß ich mich für alles ereifern kann, was du tust und denkst,
ich fürchte nur, daß ich als komplett der schnöden Materie verhafteter Physiker
wenig Wesentliches zu dem tiefenpsychologisch sicherlich hochspannenden Thema
beizutragen habe.« Walter schwenkte blasiert seinen Cognac im Glas.
    »Bei deiner umfassenden Bildung?« spöttelte Anna, »und deiner
Lebenserfahrung? Komm, sag doch mal, wie würdest du die Bedürftigkeit von
Frauen bewerten, die einem Killer wie Schmökel Liebesbriefe schreiben? Als
Laie, der du ja angeblich bist.«
    Walter, inzwischen nur noch wenig amüsiert, sah Anna in die Augen:
»Was ist mit deiner Bedürftigkeit? Kannst du mir
sagen, wie du beurteilst, was du gerade brauchst? Wenn du mich fragst: Das ist billig.«
    Walter erhob sich und ging hinaus. Evelyn hatte einen leidenden
Ausdruck angenommen. Anna sah in ihr Glas. Walter hatte recht. Der Punkt ging
an ihn. Sie stand langsam von ihrem Sessel auf und stellte sich beschämt wie
ein kleines Kind vor ihre Mutter.
    »Tut mir leid«, flüsterte sie.
    Evelyn erhob sich ebenfalls und nahm Anna in die Arme. Anna verkrampfte
sich sofort. Die Umarmung war ihr ebenso unangenehm wie ihre deutlich spürbare
Verkrampfung. Umständlich löste sie sich von ihrer Mutter und nuschelte, den
Blick abgewandt: »Ich muß gehen.«
    Später, zu Hause in ihrer kleinen Stadtvilla im Generalsviertel,
herausgeschält aus den Prada-Pumps und dem schicken Kostüm, zurück in der
verbeulten Jogginghose, die Bierflasche am Mund und Eminem im Ohr, bekam sie
wieder Boden unter die Füße. Holzdielen statt Marmor. Warm und lebendig. Noch
zwei Stunden bis zu ihrem Vortrag. Energisch stellte sie die Musik lauter,
öffnete die Fenster und ertappte sich dabei, darauf zu hoffen, daß der von sich
selbst gelangweilte Nachbar herüberkäme, um sich über die Musik zu beschweren.
Den würde sie in der Luft
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher