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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch
Autoren: M.j. Rose
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konnte einen Schal in eine weiße Taube verwandeln oder eben ein Problem in einen ganzen Strauß von Möglichkeiten.
    Meer hatte allerdings keine Lust, sich seine zuweilen hanebüchenen Erklärungen anzuhören. “Von mir aus kann passieren, was will – Medikamente nehme ich jedenfalls keine mehr. So benebelt laufe ich nie wieder herum.” Ihre Stimme klang so verkrampft, wie es ihre Nackenmuskulatur war.
    “Wieso? Was passiert denn?”
    “Die Schreckgespenster sind wieder da …”, flüsterte sie. Den Ausdruck aus Kindertagen benutzte sie unbewusst. Doch kein anderes Wort hätte ihre allgegenwärtigen Beklemmungen und Ängste und die schrillen, widersprüchlichen Töne, die sie damals gehört hatte, besser beschreiben können.

3. KAPITEL
    W ien, Österreich
    Donnerstag, 24. April – 17:15 Uhr
    Über einen Zeitraum von fast dreihundert Jahren hatten Experten genau diesen privaten Schauraum betreten, um sich in die Schätze zu vertiefen, die zur Versteigerung vorgesehen waren. Aber wie vielen von ihnen hatte das Herz so heftig geklopft wie jetzt Jeremy Logan? Er schloss die Tür hinter sich, drehte den Messingschlüssel im Schloss und hörte das Schnappen der Riegel. Das Intarsienparkett, über das er ging, war frisch restauriert, und der antike Schreibtisch, an dem er Platz nahm, mehrmals aufgefrischt worden. Doch der Glanz der hier gemachten bedeutenden Entdeckungen, er hatte sich auch über die Zeit erhalten. Jeremy hätte gern gewusst, ob seine heutigen Bemühungen wohl ebenfalls Eingang in diese Geschichte finden würden.
    Jeremy Logan, fünfundsechzig Jahre alt, war Leiter der Judaika-Abteilung des Auktionshauses. Man nannte ihn den “jüdischen Indiana Jones”: Er hatte in den vergangenen dreißig Jahren zahllose Thorarollen und andere während des Zweiten Weltkrieges gestohlene oder versteckte religiöse Kultgegenstände sichergestellt. Einige davon hatte er wie vergrabene Schätze ausgebuddelt. Andere über die Grenzen kommunistischer Länder geschmuggelt oder mithilfe von unzuverlässigen Mittelsmännern beschafft, die ausschließlich an der angebotenen Prämie interessiert waren. So konnte er sich zwar eine ganze Reihe von Funden zugute halten, doch der Schatz, nach dem er nun schon am längsten forschte, der war ihm bisher versagt geblieben: die Antwort auf die Seelenqualen seiner Tochter.
    Und nun war es nicht ausgeschlossen, dass er den Schlüssel zu diesem Rätsel in Händen hielt.
    In der Schatulle befanden sich Whist-Karten, ein Cribbage-Brett, Damesteine, und Schachfiguren. Aber nicht nur das: Die Röntgenuntersuchung hatte ergeben, dass die aus Sandelholz gefertigte Spielekassette einen etwa zwei Zentimeter starken doppelten Boden besaß. Darin befand sich etwas Viereckiges, das entweder aus dünnem Stoff oder dickem Papier bestand. Was es genau war, hatten selbst die Techniker mit ihrem ausgefeilten Instrumentarium noch nicht einwandfrei bestimmen können. Aber jetzt, hier hinter verschlossenen Türen, stand Jeremy kurz davor.
    Er zog seine hafergelbe Strickjacke aus, warf sie auf den Schreibtischstuhl und streifte die Ärmel seines marineblauen Rollkragenpullovers hoch. Dann pflückte er die Lesebrille aus seinem graumelierten Wuschelschopf, klemmte sie sich auf die Nase und nahm sich den Sandelholzkasten vor. Jetzt wusste er, wonach er suchen musste. Mithilfe einer Lupe stellte er fest, dass sich unter dem verschnörkelten B ein schwach eingeritztes Sternzeichen befand – das einzige Detail, das in Meers Kinderzeichnungen fehlte. Bei genauerem Hinsehen erkannte er zu seinem Erstaunen, dass es sich um ein Phönix-Zeichen handelte, dem Symbol für Unsterblichkeit und Wiedergeburt, benannt nach dem mythischen Vogel aus der Antike. Wie auch Malachai Samuels hatte Jeremy immer schon angenommen, dass sich die Krise seiner Tochter im Kern um Reinkarnation drehte. Nach seiner festen Überzeugung litt Meer unter den Spätfolgen eines früheren, sorgenschweren Daseins.
    Als leidenschaftlicher Verfechter der Reinkarnation glaubte er fest daran, dass eine zu einem bestimmten Kreis gehörende Seele nach dem Tod irgendwann in einem anderen Wesen aus ebendiesem Kreis wiedergeboren wird. Das macht es einerseits schwer, mit einem Menschen, der uns früher geärgert hat, in Kontakt zu treten. Andererseits erleichtert es eine Verbindung mit denen, die wir gern hatten. Angehörige, Freunde, Lebenspartner und Arbeitskollegen zählten zu Lebzeiten zum Seelenkreis eines Menschen. Nur zu gerne hätte Logan
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