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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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Vernehmungen noch bei den Verfahren gegen sie in irgendeiner Weise berücksichtigt. Man könnte sogar das Gegenteil behaupten: Man machte sich ihre Wehrlosigkeit zunutze, um ein schnelles Urteil zu erreichen. Jahre mussten vergehen, ehe ihre Ehre wiederhergestellt wurde – in Bentleys Fall ein halbes Jahrhundert –, und heute steht fest, dass sie Opfer der vier gravierendsten Justizirrtümer des zwanzigsten Jahrhunderts waren.
    Reformen des Rechtssystems
    Zwei Gesetze, PACE (Police and Criminal Evidence Act), das die polizeiliche Ermittlungsarbeit betrifft und 1984 erlassen wurde, und CPIA (Criminal Procedure and Investigations Act), das das Strafverfahren angeht und 1996 erlassen wurde, befass-ten sich verspätet mit vielen der Fragen, die bei den Vernehmungen in den Fällen Downing und Kiszko aufgeworfen wurden, obwohl zur Zeit des 1984
    erlassenen Gesetzes noch keiner der beiden Fälle überprüft worden war. Den Hauptanstoß zu dieser Reform hat beinahe mit Sicherheit die so genannte ›Operation Countryman‹ gegeben, eine interne 33

    Polizeiuntersuchung in den Siebzigerjahren, bei der erschreckende Korruptionspraktiken innerhalb der Londoner Metropolitan Police aufgedeckt wurden.
    Damals wurden Chief Superintendent Ken Drury vom Überfallkommando und zwölf weitere Beamte von Scotland Yard zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie für Geld Beweismaterial gefälscht hatten.
    Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei war unheilbar zerstört, und die Unzufriedenheit mit dem gesamten Strafrechtssystem wuchs in dem Maß, wie Zweifel an der Rechtmäßigkeit einzelner Schuldsprüche aufkamen. Es kam zu Protest-kampagnen gegen angebliche Fehlurteile wie in den Fällen der Vier von Guildford – die 1989 freigelassen wurden; der Sechs von Birmingham – 1991
    freigelassen; und der Vier von Bridgwater – 1997
    freigelassen. Urteilsrevisionen gab es auch in den Fällen der Drei von Cardiff und der Drei vom M25.
    1999, als bekannt wurde, dass das Dezernat für Schwerverbrechen der Polizei der West Midlands Beweismaterial gefälscht, Verdächtige gefoltert und falsche Geständnisse präsentiert hatte, wurden dreißig Urteile aufgehoben. Derzeit sind noch Dutzende von Berufungsverfahren zu erwarten.
    Stephen Downing
    Stephen Downing war achtundzwanzig Jahre in Haft, bevor ihm 2002 das zuständige Berufungsgericht seine Freiheit zurückgab. Nachdem der 34

    schmächtige und schüchterne Siebzehnjährige, der unter einer Lernbehinderung litt, neun Stunden lang, also fast bis zur Erschöpfung, vernommen worden war, unterschrieb er eine Erklärung, in der er gestand, auf dem Friedhof in Bakewell, Derbyshire, wo er arbeitete, eine junge Frau mit dem Stiel einer Spitzhacke niedergeschlagen zu haben. Bei den Vernehmungen war kein Rechtsanwalt zugegen, der den Jungen hätte beraten können, und seinem Vater wurde nicht gestattet, ihn zu sehen.
    Zu dem Zeitpunkt, als er das Geständnis unterschrieb, war das Opfer, Wendy Sewell, bewusstlos, aber noch am Leben, und die Kriminalbeamten versicherten dem Jungen, wenn er unschuldig sei, würde Wendy Sewell ihn entlasten, sobald sie das Bewusstsein wiedererlangt habe. Die junge Frau starb zwei Tage später, und Downing wurde des Mordes an ihr angeklagt.
    Er widerrief sein Geständnis unverzüglich, doch auf ebendieses Geständnis stützte im folgenden Jahr die Anklage ihre ganze Beweisführung vor dem Crown Court, dem staatlichen Gericht für schwere Straftaten, in Nottingham. Er wurde schuldig gesprochen und erhielt eine lebenslängliche Haftstrafe, mit der Empfehlung, dass er siebzehn Jahre davon verbüßen solle. Demzufolge hätte er 1989 entlassen werden können; aber weil er alle Schuld an dem ihm vorgeworfenen Verbrechen beharrlich bestritt, wurden seine Anträge auf vorzeitige Entlassung 35

    abgelehnt. Im britischen Strafrechtssystem ist Reue eine unerlässliche Voraussetzung für vorzeitige Entlassung, ein Strafgefangener, der seine Tat leugnet, wird nicht berücksichtigt. Das heißt, dass jeder Unschuldige, der seinen guten Namen auch im Angesicht einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verteidigt, in der Falle sitzt.
    Beinahe drei Jahrzehnte nach der Ermordung Wendy Sewells räumte der Vorsitzende Richter des Berufungsgerichts, Lord Justice Pill, ein, dass bei Downings Vernehmung Fehler gemacht worden waren. Das Gericht, erklärte er, könne nicht gewiss sein, dass Mr. Downings erstem Geständnis vor der Polizei Glauben zu schenken sei, und daraus folge, dass seine
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