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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter
Autoren: Minette Walters
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später, am 24. Juli 1970.
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    kalifornischen Stil: Großmutter gefoltert und ermordet‹; ›Blutrausch‹; ›Mit Blut beschmierte Wände‹. Angesichts solcher Einmütigkeit müssen wir annehmen, dass diese Vorstellungen bei der Polizei und nicht bei den Journalisten ihren Ausgang nahmen, und wenn das zutrifft, haben wir es hier mit verbrecherischer Irreführung zu tun. Grace Jefferies war allein, als sie getötet wurde. Bei den Manson-Morden befand sich das eigentliche Opfer, Sharon Tate, in Gesellschaft von fünf Gästen, die mit ihr zusammen umgebracht wurden. Der Ausdruck ›mit Blut beschmiert‹ zur Beschreibung der Blutspritzer an Grace Jefferies’ Wand war grobe Übertreibung.
    Dadurch wurde der Eindruck vermittelt, die Polizei von Bournemouth hätte etwas Ähnliches vorgefunden wie zuvor die kalifornische Polizei bei Sharon Tate, an deren Haustür das mit Blut geschriebene Wort pig stand.
    Verständlich, dass in der Öffentlichkeit sich Angst breit machte. Die ›Manson-Morde‹ am 9. August 1969 in Los Angeles, denen vierundzwanzig Stunden später die ›La-Bianca-Morde‹ folgten, hatten auf der Welt Entsetzen hervorgerufen. Die Presse sprach von ›durch Drogen herbeigeführtem Kult-horror‹, nachdem Einzelheiten der Massaker bekannt geworden waren. Die Schuld gab man zu gleichen Teilen den Beatles wegen ihres Songs
    ›Helter Skelter‹, dem Vietnam-Krieg, der kalifornischen Hippie-Bewegung, Woodstock, langen Haa-30

    ren, dem Marihuanakonsum und der freien Liebe.
    Der Gedanke, dass diese amerikanischen Krankheiten den Atlantik überquert und im gutbürgerli-chen Bournemouth zu einer grausamen Bluttat geführt hatten, war so schockierend, dass die gesamte Öffentlichkeit aufatmete, als am Sonntag, dem 7. Juni, Howard Stamp ein Geständnis ablegte.
    Es war nicht die Tat einer Bande, es war eine rein familiäre Angelegenheit gewesen. Stamp, ein geistig zurückgebliebener Zwanzigjähriger mit einer auf-fallenden Hasenscharte, war Grace Jefferies’ Enkel.
    Er war schon in der Schule wegen Schwänzens und absonderlichen Verhaltens auffällig geworden, und es war bekannt, dass er arbeitsscheu war und krankhaft auf die Rockgruppe Cream fixiert, insbesondere auf deren Schlagzeuger, Ginger Baker. Man hielt ihn sechsunddreißig Stunden zur Befragung fest, und am Sonntagmorgen um vier gestand er endlich den Mord. Ein Anwalt war nicht zugegen, und da Stamp Analphabet war, schrieben andere seine Aussage für ihn nieder. Der Fall war klar, und der Beschuldigte wurde ordnungsgemäß vor Gericht gestellt und im August 1971 verurteilt.
    Beunruhigende Parallelen
    Genauso klar waren in den Fünfzigerjahren die Fälle Timothy Evans und Derek Bentley gewesen, die beide mit Schuldsprüchen endeten, sowie 1973
    der Fall des Stephen Downing, der wegen Mordes 31

    an Wendy Sewell verurteilt und 1975 der Fall des Stefan Kiszko, der des Mordes an Lesley Molseed für schuldig befunden wurde. Alle vier Männer waren wie Stamp Analphabeten mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen und in hohem Maß anfällig für polizeiliche Beeinflussung.
    Timothy Evans, zum Zeitpunkt seiner Verurteilung sechsundzwanzig Jahre alt, war geistig zurückgeblieben und des Schreibens und Lesens nicht mächtig. Derek Bentley, neunzehn Jahre alt, war geistig behindert. Downing, ein körperlich unterentwickelter Siebzehnjähriger, hatte die geistige Reife eines Elfjährigen. Und Kiszko, vierundzwanzig, der am XXY-Syndrom litt, hatte un-entwickelte Hoden und wurde als ›Kind in einem Männerkörper‹ beschrieben. Drei dieser Männer wurde der Kontakt zu einem Rechtsbeistand ver-wehrt, und sie legten Geständnisse ab, die sie später mit der Begründung zurückzogen, die Polizei habe sie zu ihrer Aussage genötigt oder habe selbst die Aussagen abgefasst. Der vierte, Derek Bentley, der sich in Polizeigewahrsam befand, als sein sech-zehnjähriger Mitangeklagter, Christopher Craig, den Constable Sidney Miles erschoss, bezichtigte die Polizeibeamten der Lüge. Diese behaupteten nämlich, er habe Craig den Befehl zu dem Mord zugerufen und sei daher des ›gemeinschaftlich begangenen Mordes‹ schuldig.
    Die feste Überzeugung der Polizei und der 32

    Staatsanwaltschaft von der Schuld dieser Männer bewirkte, dass bei den Ermittlungen schlampig gearbeitet und Beweismaterial unterdrückt wurde.
    Obwohl man damals klar erkannte, dass alle vier Männer emotional unreif und geistig zurückgeblieben waren, wurden diese Tatsachen weder bei den
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