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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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längst zu Humus geworden und der durch das frisch fallende und heranwehende Laub immer höher steige, ein Vorgang, der zu einer Fiktion eines Ichs führe, indem jeder sein Ich zusammen-fingieren, sich in eine Rolle dichten würde, die er mehr oder weniger gut zu spielen versuche, demnach komme es auf die schauspielerische Leistung an, ob einer als Charakter dastehe oder nicht, je unbewußter, unabsichtlicher er eine Rolle spiele, desto echter wirke er, sie begreife nun auch, warum Schauspieler so schwer zu porträtieren seien, diese spielten ihren Charakter zu offensichtlich, das bewußt Schauspielerische wirke unecht, überhaupt hätte sie, schaue sie auf ihre Laufbahn zurück, auf die Menschen, die sie porträtiert habe, das Gefühl, vor allem Schmierenschauspieler gefilmt zu haben, besonders unter den Politikern, wenige seien Schauspieler großen For-17

    mats ihres Ichs gewesen, sie habe sich vorgenommen, keine Porträts mehr zu filmen, aber wie sie diese Nacht das Tagebuch Tina von Lamberts gelesen, immer wieder, und wie sie sich vorgestellt habe, wie diese junge Frau in einem roten Pelzmantel in die Wüste hineingeschritten sei, in dieses Meer aus Sand und Stein, sei es ihr, der F., klargeworden, daß sie mit ihrem Team dieser Frau nachspüren und wie diese in die Wüste hinein zur Al-Hakim-Ruine gehen müsse, koste es, was es wolle, in der Wüste, ahne sie, liege eine Realität, der sie sich wie Tina stellen müsse, für diese sei es der Tod gewesen, was es für sie selber sein werde, wisse sie noch nicht und dann fragte sie D., den Campari austrinkend, ob sie nicht verrückt sei, diesen Auftrag anzunehmen, worauf D. antwortete, sie wolle in die Wüste gehen, weil sie eine neue Rolle suche, ihre alte Rolle sei die einer Beobachterin von Rollen gewesen, nun beabsichtige sie, das Gegenteil zu versuchen, nicht zu porträtieren, was ja einen Gegenstand voraussetze, sondern zu rekonstruieren, den Gegenstand ihres Porträts herzustellen, damit aus einzelnen herumliegenden Blättern einen Laubhaufen anzu-sammeln, wobei sie nicht wissen könne, ob die Blätter, die sie da zusammenschichte, auch zusammengehörten, ja, ob sie am Ende nicht sich selber porträtiere, ein Unterfangen, das zwar verrückt sei aber wiederum so verrückt, daß es nicht verrückt sei und er wünsche ihr alles Gute.

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    War es schon am Morgen schwül gewesen, als wäre es Sommer, so donnerte es, als sie zum Wagen trat und sie vermochte gerade noch das Schutzdach ihres Kabrioletts zu installieren, bevor ein Platzregen einsetzte, durch den sie an der Altstadt 18

    vorbei zum Altmarkt hinunterfuhr und trotz des Verbots am Trottoirrand parkte, hatte sie sich doch nicht geirrt, die an einer Seite des Tagebuchs flüchtig hingekritzelte Adresse war die des Ateliers eines seit einigen Wochen verstorbenen Malers, der seit vielen Jahren die Stadt verlassen, und das längst von jemand anderem benützt werden mußte, wenn es überhaupt noch existierte, denn es war in einem so lamentablen und baufälligen Zustand gewesen, daß sie überzeugt war, es nicht mehr vorzufinden, aber weil die Adresse in irgendeiner Bezie-hung zu Tina stehen mußte, ohne die sie nicht in ihr Tagebuch gekommen wäre, legte sie den kurzen Weg vom Wagen zur Haustüre trotz der niederstürzenden Regenmassen zurück und obwohl sich die Türe öffnen ließ, war sie schon durchnäßt als sie m den Korridor gelangte, der sich nicht verändert hatte, auch der Hof, von dessen Kopfsteinpflaster der Regen auf-spritzte, war derselbe, ebenso die Scheune, worin sich das Atelier des Malers befunden hatte, auch die Türe hinauf erwies sich zu ihrem Erstaunen unverschlossen, die Treppe verlor sich oben im Dunkeln, sie suchte vergeblich nach einem Lichtschal-ter, stieg hinauf, die Hände tastend vor sich, spürte eine Türe und sie befand sich im Atelier, auch dieses zu ihrer Verblüf-fung unverändert im fahlen Silberlicht des Regens, der außen an den beiden Fenstern niederlief, der lange, schmale Raum war immer noch voller Bilder des Malers, der doch seit Jahren die Stadt verlassen hatte, großformatige Porträts, die abenteuer-lichsten Gestalten der Altstadt standen herum, Pumpgenies, Quartalsäufer, Clochards, Straßenprediger, Zuhälter, Berufsar-beitslose, Schieber und andere Lebenskünstler, die meisten unter der Erde wie der Maler, nur nicht so feierlich wie dieser, bei dessen Begräbnis sie dabeigewesen war, höchstens daß bei jenen einige weinende Dirnen zugegen gewesen waren oder
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