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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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auszuhalten, Tina sei dieser Einsicht einsichtig geworden und eben diese Einsicht in diese Einsicht sei die Depression und so seitenlang immer derselbe Quark, weshalb es ihr gänzlich unmöglich sei zu glauben, Tina sei geflüchtet, weil sie diese Notizen gefunden hätte, wie von Lambert anscheinend vermute, auch wenn ihr Tagebuch mit dem zweimal unterstrichenen Satz »ich werde beobachtet«
    geendet habe, sie deute diese Bemerkung anders, Tina sei dahintergekommen von Lambert hätte ihr Tagebuch gelesen, dieses sei ungeheuerlich, nicht von Lamberts Notizen, und für jemanden, der im Geheimen hasse und plötzlich wisse, der Gehaßte wisse es, gebe es keinen anderen Ausweg als die Flucht, worauf die F. ihre Ausführungen mit der Bemerkung schloß, etwas stimme an der Geschichte nicht, es bleibe rätselhaft, was Tina in die Wüste getrieben habe, sie, die F., komme 10

    sich wie eine jener Sonden vor, die man ins All schieße, in der Hoffnung sie könnten Informationen zurück zur Erde senden, deren Beschaffenheit man noch nicht wisse.

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    D. hatte sich den Bericht der F. angehört und sich zerstreut ein Glas Wein bestellt, obwohl es erst elf Uhr war, und stürzte es ebenso zerstreut hinunter, bestellte sich ein zweites Glas und meinte, er sei zwar immer noch mit dem unnützen Problem beschäftigt, ob der Identitätssatz A = A stimme, da er zwei identische A setze, während es nur ein mit sich identisches A geben könne und wie es auch sei, auf die Wirklichkeit bezogen sei es unsinnig, kein Mensch sei mit sich identisch, weil er der Zeit unterworfen und genau genommen zu jedem Zeitpunkt ein anderer sei als vorher, manchmal scheine es ihm, er sei jeden Morgen ein anderer, als hätte ein anderes Ich sein vorheriges Ich verdrängt und machte nun von seinem Hirn Gebrauch und damit auch von seinem Gedächtnis, daher sei er froh sich mit der Logik abzugeben, die sich jenseits jeder Wirklichkeit befinde und jeder existentiellen Panne entrückt, darum könne er nur sehr allgemein Stellung zur Geschichte nehmen, die sie ihm aufgetischt habe, der gute von Lambert sei nicht als Ehemann erschüttert, sondern als Psychiater, vor dem Arzt sei die Patientin davongelaufen, aus seinem menschlichen Versagen mache er gleich ein Versagen der Psychiatrie, nun stehe der Psychiater da wie ein Wärter ohne Gefangene, was ihm fehle, sei sein Objekt, was er als seine Schuld bezeichne, sei nur dieses Fehlen und was er von der F. wolle, sei nur das ihm fehlende Dokument zu seinem Dokument; er wolle, indem er zu wissen versuche, was er nie begreifen könne, die Tote 11

    gleichsam wieder in sein Gefängnis zurückholen, das Ganze ein Stück für einen Komödienschreiber, verbärge sich nicht dahinter ein Problem, welches ihn, D., seit langem beunruhige, besitze er doch in seinem Haus in den Bergen ein Spiegelteleskop, ein ungefügiges Ding, das er bisweilen gegen einen Felsen richte, von wo aus er von Leuten mit Ferngläsern beobachtet werde, worauf jedesmal, kaum hätten die ihn mit ihren Ferngläsern Beobachtenden festgestellt, daß er sie mit seinem Spiegelteleskop beobachte, sich diese schleunigst zurückzögen, wobei sich nur die logische Feststellung bestäti-ge, zu jedem Beobachteten gehöre ein Beobachtendes, das, werde es von jenem Beobachteten beobachtet, selber ein Beobachtetes werde, eine banale logische Wechselwirkung, die jedoch, werde sie in die Wirklichkeit transponiert, sich bedrohlich auswirke, die ihn Beobachtenden fühlten sich dadurch, daß er sie durch sein Spiegelteleskop beobachte, ertappt, ertappt zu werden erwecke Schmach, Schmach oft Aggression, mancher der sich verzogen habe, sei zurückgekehrt, wenn er, D., sein Instrument weggeräumt hätte, und habe Steine nach seinem Haus geworfen, überhaupt sei, was sich zwischen denen, die ihn beobachteten, und ihm abspiele, der seine Beobachter beobachte, für unsere Zeit symptomatisch, jeder fühle sich von jedem beobachtet und beobachte jeden, der Mensch heute sei ein beobachteter Mensch, der Staat beobachte ihn mit immer raffinierteren Methoden, der Mensch versuche sich immer verzweifelter dem Beobachtet-Werden zu entziehen, dem Staat sei der Mensch und dem Menschen der Staat immer verdächtiger, ebenso beobachte jeder Staat den anderen und fühle sich von jedem Staat beobachtet, auch beobachte wie noch nie der Mensch die Natur, indem er immer sinnreichere Instrumente erfinde, sie zu beobachten, wie Kameras, Teleskope, Stereo-skope, Radioteleskope, Röntgenteleskope,
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