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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes
Autoren: Karl Bleibtreu
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Fortgeschrittene Seelen ruhen für
Jahrhunderte, manchmal Jahrtausende in höheren Ebenen, bis die Menschlichkeit ihr Niveau erreichte? Doch wo bleiben die
höheren Ebenen, wenn alles Nacht bedeckt? Wir dürfen unmöglich Manvantara in solchem Sinne auffassen, das
Sichtbare mit Unsichtbarem verwechseln. Letzteres kann nie und nimmer für eine Sekunde seine Tätigkeit einstellen,
ob auch der Schein des Sichtbaren vergeht. Man denke sich also unter Einatmen Brahms eine andere Ordnung der Dinge, die
über menschliches Denken geht, doch keine Nacht, kein wirkliches Schlafen des Weltwillens. Die sieben
übernatürlichen Kräfte der indischen Adepten scheinen nicht übernatürlich genug, um hier das
Mögliche geschaut zu haben.
    Steigen wir aus höchsten Regionen des Alldenkens zu dem herab, was Menschen Natur nennen, wie kann eine an die Erde
gefesselte Wahrnehmung Allgesetze entdecken? Linné sagt: »Die Natur bleibt sich immer gleich.« Ein kurzes
Schlagwort, das zwar der Evolutionsphrase den Kopf abschlägt, doch den steten Stoffwechsel der Natur allzu summarisch
abtut. Als Botaniker durfte er dies nicht mal formal behaupten, denn mannigfache Metamorphose der Pflanzen ergibt keine
unbedingte äußere Gleichung. Dagegen wird der Metaphysiker dazu Beifall nicken, daß Transformierung
gleichwohl den Kern der Dinge nicht antastet, während Naturkunde nur an der Schale herumknabbert. Er wird deshalb auch
den Streit über »Schaffen« oder »Entstehen« der Welt als leeres Wortgezänk verpönen.
Ungenauer Begriff macht Schaffen zu etwas zeitlich Begrenztem, Entstehen zu unbegrenzt Zeitlosem, als ob es nicht
grenzenloses Schaffen und beengtes Entstehen geben könne. Erschaffen des Alls auf einen Hieb wäre so, als ob man an
einem Tag eine vollendete Statue aushauen könnte, nie meinten dies die alten Schöpfungsmythen. Doch Zeitmaß
des Schaffens variiert von Leonardos Langsamkeit bis zu Raphaels Überproduktion, neun Jahre wollte der ungeniale Horaz
an einem Opus feilen und brauchte Gott 9 Billionen Jahre zur historischen Schöpfung, so bleibt er darum doch ihr Autor.
Jedes Werk entsteht, trotzdem sagt man zutreffend, daß es geschaffen sei. Alles wechselnde Entstehen in Werden und
Vergehen ist ein fortlaufender Schaffensakt, statt eines einmaligen setze man nur einen ewigen Schöpfer, der
täglich an seinem Kunstwerk formt. Da wir ihn nicht beobachten können, so scheint auch der Streit müßig,
wie er arbeitet. Angeblich langsames Entstehen aller sichtbaren Formen stellt man triumphierend in den Vordergrund, um
Mechanistik von da aus einzuschmuggeln. Natürlich kann es in der Unendlichkeit keinen einmaligen Schöpfungsakt
geben, doch allmähliches Entstehen eines Gemäldes und analytische Zerlegung, daß es aus Leinewand,
Kohlenstift, Farbe hervorging, machen doch nicht den Maler selber überflüssig. Den sieht man ja auch nicht arbeiten
und etwa mal ins Atelier Zugelassene, was sehen sie? Sichtbare Handarbeit, nicht unsichtbaren Plan der Kunstkomposition. Wenn
man Goethe beim Dichten zuschaute, sähe man nur Hand und Feder auf dem Papier: So sieht man vom unsichtbaren Schaffen in
der Natur stets nur die Materialisationsbewegung. Und deren Methode? Aus Blutkreislauf und Erdmagnetismus folgerte Descartes,
daß Spiralbewegung und Polarität im ganzen kreisenden All regiere, der Lehrsatz mag richtig sein, zumal Buddha es
ähnlich ansah, doch was gewinnt man damit? Untersuchung äußerer Mittel. Daß der Maler die Palette nicht
verkehrt hält, Pinsel und Farbentuben benutzt, so weit in Wissensmacht sind wir schon. Doch die Leinwand des
Ätherraums koloriert nicht selber die dort vorgezeichnete Komposition, auch behaupten Eingeweihte, daß manchmal
eine mißlungene Linie weggewischt und ein störender Fleck übermalt wird. Wer aus solcher weisen Erforschung
mechanisches Entstehen eines aus unsichtbarer Vorstellung des Kunstingeniums Entsprungenen begründen wollte, setzte sich
dem Gelächter jedes Schuljungen aus. Das überhebt uns der Mühe, dies ironische Gleichnis weiter auszumalen. Ob
wir den Bildner »Gott« oder »Nous und Logos« benamsen, hat nur für Kunstgelehrte Wichtigkeit,
Name ist Schall und Rauch. Don Quixotes Wissenschaft attackiert auf dem Rosinanteklepper »Naturgesetze« alle
möglichen Windmühlen, reitet Bleisoldaten der Pseudoreligion reihenweise nieder. Indem sie aber das Schlachtfeld zu
behaupten wähnt, verwandeln sich die leblosen Figürchen plötzlich in
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