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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes
Autoren: Karl Bleibtreu
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jedem Materieakt. Welche Begriffsstutzigkeit, daraus nicht sofort antimaterialistische Schlüsse zu ziehen!
Komischerweise läuft nämlich der ganze Spektakel darauf hinaus, den ausgetriebenen Geist wieder in die Materie
hineinzuschmuggeln. Leben ist eben allgegenwärtig, Geist immer dort, wo Leben ist, Leben aber in jedem Atom. Saaleby
schließt daher ganz richtig, daß Geist in jedem chemischen Element der Zelle sei, Geist sozusagen das Elektron
der Materie. Geist aber will stets etwas. Schon im 18. Jahrhundert sprach Crusius das große Wort: »Wille ist die
herrschende Kraft im Universum«, moderne gelehrte Redensarten umschreiben dies nur wie Wundts Auslegung der Energie als
»etwas dem Willen Ähnliches« oder Gudsworths »plastische Natur«, die dem
»schöpferischen Willen« der Yogalehre entspricht als Instrument des absoluten Einen. Dieser Wille ist in der
Natur unverkennbar, aber nicht Schopenhauers blinder Wille, der ohne Zweck und Ziel nach Leben hascht. Es ist auch etwas
anderes, wenn Lamark »Begierde« als Ursache aller Formen erkennt. Formen sind ewiger Wechsel, Wille auch,
identisch mit Bewegung, Geist aber als notwendige Ursache jedes Willens seinem Wesen nach wechsellos. Der Tautropfen der
Wolke wandert auf mancherlei Wegen zum Meer zurück, aus dem die Wolke kam; so des Menschen wechselnde Psyche zurück
zur ewigen Ruhe. Die Wissenschaft drückt sich mit unnötiger Vorsicht um die Erkenntnis herum: In jeder Energie ist
»etwas wie Geist«, in jedem Elektron »etwas wie Materie«, nur unendlich feiner. »Etwas
wie« ist Ausdruck der Hilflosigkeit, die nicht ehrlich sein will: ist das Elektron irgendwie mit sog. Materie
(Äther) verkettet, dann ist eben die Materie geistig beseelt, und zeigt die Energie geistige Anlage, dann hat sie
geistige Zwecke. Geist ist also das Uranfängliche, Energie seine Folge und deren Endfolge die Materie. Die umgekehrte
Reihenfolge anzunehmen ist so verdreht, daß es sich nur noch pathologisch als epidemische Ansteckung erklären
läßt wie im Mittelalter der Veitstanz. Schopenhauer nennt den Optimismus mehr verbrecherisch als leichtfertig, wir
nennen Materialismus eher kreuzdumm als verbrecherisch.
    Der primitivste Wilde fühlt das Übergewicht des Psychischen, die Antike verband mit Hades ganz logische
Vorstellung, daß die Unterweltler nach Erdsinnlichem schmachten (»lieber ein Bettler hier als König im Reich
der Schatten«), in dem allein sie aufgingen, während sie die Kämpfer für höhere Zwecke als
Halbgötter in die Sterne versetzte. Materialisten bestehen gemeinhin aus Verstandesgelehrten, die überhaupt nichts
vom Leben wissen, aus sog. Weltleuten, die nur winzigen Ausschnitt der Menschenwelt und ein paar wissenschaftliche
Näschereien als Nachtisch der Sinnlichkeit kennen, und aus der riesigen Herde, die vor sich hingrast und ihren Grasfleck
für die Welt hält. Die kleinste tägliche Beobachtung müßte den Materialisten verwirren und tut es
auch, wenn er genug nachdenkt. Er sieht einen roten Kaschmirschal, schon dieser Vorgang ist psychisch, da die Augen nur als
Fenster dienen, durch die der Sehnerv im Hirn hinausschaut. Daß nun das Bild des Schals samt seiner roten Farbe in
einem Hirnkasten aufbewahrt wird, den wir Gedächtnis nennen, und dort reproduziert bleibt, daß ferner
willkürlich Bilder im Hirn auftauchen, plastisch und oft farbig, und sich dies beim Künstler zum Schaffen
selbstherrlicher Gebilde steigert, solche unverkennbaren Akte einer regierenden Psyche können durch keinerlei Floskeln
von Apperzeptionen weggedeutet werden. Wir zünden hier absichtlich nur die Laterne des gesunden Menschenverstandes an,
bevor wir das Erkenntnislabyrinth betreten. Wir rammen die Pflöcke ein für Pfahlbauten am See des Unsichtbaren. Vor
Beweisaufbau muß man das Gelände abstecken, von wo er beginnen soll.
    Schon die Annahme eines letzten Ursachgrundes, ohne den keine Wissenschaft denken kann, bedeutet einen Energiewillen, der
sich in Marsch setzt. Bewegung ohne Willen kann es nicht geben, so wenig wie der Arm sich ohne Gehirnvorgang hebt. Alles hat
ein Woher, warum soll nur das All kein Warum und kein Wozu kennen, ziellos seine Massen angehäuft haben? Umgekehrt
schiebt menschlicher Unverstand dem Unendlichen endliche Funktionen unter: Gott will »sich ausdrücken« oder
»träumen, spielen« oder »Erfahrung gewinnen«, wenn er die Welt darstellt? Ihm solche
Bedürfnisse zuzuschieben ist naiv. Er fühlt sich zu
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