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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition)
Autoren: Béla Bolten
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der Einmündung in die Zimmerstraße wäre er beinahe von einem Möbelwagen überfahren worden, der mit großer Geschwindigkeit in den Hof der alten Markthalle abbog, in der sich später das berühmte, inzwischen längst geschlossene Konzerthaus «Clou» befand. Daut wollte dem Fahrer die Meinung sagen, richtete seinen fast vom Kopf gerutschten Tschako und ging auf die Einfahrt zu. Der Möbelwagen stand mit dem Heck zum großen Eingangsportal des ehemaligen Konzerthauses. Die Plane war hochgeschoben, und die Klappe hing herunter. Zwei SS-Unterscharführer standen rechts und links des Lkw, die Gewehre im Anschlag. Ein SS-Untersturmführer stand einige Meter abseits und brüllte Befehle: »Runter vom Wagen. Muss ich euch erst noch Beine machen, ihr faulen Säcke, ihr dreckiges Judenpack. Wird Zeit, dass wir auch die Letzten von euch wegschaffen. Dann wird gleich frischere Luft sein in Berlin.«
    Während er schrie, schlug er sich mit der Reitpeitsche gegen die Stiefel. Vom Wagen kletterten Männer unterschiedlichen Alters, die jüngsten fast noch Kinder und die ältesten schon Greise. Alle rannten in gebückter Haltung in die Halle. Ein Mann verlor beim Herunterspringen seinen Hut. Seine leuchtend weißen Haare standen wie ein Kranz um seinen Kopf. Als er sich bückte, um die Kopfbedeckung aufzuheben, sauste die Peitsche des Offiziers auf seinen Rücken nieder. Der Mann fiel zu Boden.
    »Habe ich dir gesagt, du sollst den Hut aufheben?«
    Der Alte schaute nach unten, und selbst aus der Entfernung erkannte Daut die Panik in seinem Blick.
    »Antworte!«, brüllte der Offizier.
    »Nein«, flüsterte der Mann mehr, als er sprach.
    »Lauter!«
    »Nein.« Die Stimme des am Boden Liegenden zitterte, war aber deutlich zu vernehmen.
    »Wie hast du einen deutschen Offizier anzusprechen?«
    Der Mann überlegte einen Moment. Daut war geneigt, ihm den Dienstgrad seines Peinigers zuzurufen, der ihm anscheinend nicht geläufig war. Doch dann sagte der Alte korrekt: »Nein, Sturmführer.«
    Der Offizier war immer noch nicht zufrieden.
    »Sieh mich gefälligst an, wenn du mit mir sprichst.«
    Kaum hob der immer noch auf der Erde kauernde Mann den Kopf, trat ihm der SS-Mann mit voller Wucht die Stiefelspitze ins Gesicht. Selbst Daut hörte den Knochen splittern. Der alte Mann stöhnte leise auf.
    »Dir werden sie die richtigen Dienstgrade schon noch beibringen, Itzig! Aufstehen jetzt und rein mit dir.«
    Der Alte erhob sich und taumelte in das Gebäude.
    »Noch jemand ohne Fahrschein«, brüllte der Offizier und lachte.
    Daut drehte sich um und ging.

Fünf
     
    Daut stieg langsam die Treppe hinauf. War es die Müdigkeit einer Nacht ohne Schlaf, die seine Schritte so schwer machte, oder drückten ihn die Bilder nieder, die er vor einer Stunde beim alten Konzerthaus «Clou» gesehen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass er Misshandlungen von Juden sah, und wenn er ehrlich war, hatte er sich in solchen Augenblicken immer schnell weggedreht. Bisher musste er nie selber bei einer solchen Aktion mitwirken, und er hoffte, dass er sich dieser Prüfung nie stellen musste. Er war sich nicht sicher, ob er sie bestehen würde. Jetzt wollte er nur schlafen. Es war zwölf Uhr Mittag, und so blieben ihm wenigstens sechs Stunden, ehe er sich für die Nachtschicht bereitmachen musste. Er hatte gerade den Treppenabsatz des ersten Stocks passiert, als er sie auf den Stufen sitzen sah. Augenblicklich hellte sich seine Miene auf. Carla war so etwas wie der Sonnenschein, der zufällig in sein Leben schien, als er an einem lauen Juniabend des vergangenen Jahres in einer Kette von Polizisten vor dem Ufa-Filmpalast stand, um das umjubelte Idol Zarah Leander vor allzu zudringlichen Verehrern zu schützen. »Die große Liebe« hatte Premiere, und Hunderte drängten sich vor dem Kinoeingang, um einen Blick auf die teuerste Filmschauspielerin Deutschlands zu werfen. Normalerweise wurde er zu solchen Einsätzen nicht eingeteilt, denn eine Hand reichte nicht, um in einer Absperrung sicheren Halt zu finden. An diesem Abend bestand kein Risiko einer gewalttätigen Auseinandersetzung, und Personal war wie immer knapp, also hatte der Revierhauptmann entschieden: »Daut geht diesmal mit.«
    Eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung war das Gedrängel so groß, dass die Polizisten einen Korridor bildeten, durch den sie nur gehen ließen, wer eine Eintrittskarte vorwies. Von hinten tippte ihm jemand auf die Schulter. Daut drehte sich um und blickte in ein fröhlich
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