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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition)
Autoren: Béla Bolten
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mindestens zwei Tagen ermordet worden sein.
    Sie schleppten die Kiste nach oben und brauchten anschließend eine Zigarettenpause. Daut spendierte dem Blockwart eine Ernte 23, der sich dafür überschwänglich bedankte. Mehr Worte wurden nicht gewechselt, bis Gisch den Handkarren brachte.
    »Und wohin damit jetzt?«, fragte der Blockwart.
    »Rechtsmedizin.« Daut hatte keine Lust, Einzelheiten der Ermittlung in einem Mordfall mit dem Mann auszutauschen. Deshalb ergänzte Gisch: »Leichenschauhaus in der Hannoverschen. Aber wie willst du da hinkommen, Axel?«
    »Na wie wohl!«
    Daut bedeutete den beiden anderen, die Kiste auf den Handkarren zu stellen, ergriff die Deichsel und ging Richtung S-Bahnhof Kolonnenstraße. Die Bahn war wie immer überfüllt. Die Menschen drängten sich schon auf dem Bahnsteig, und als er mit dem Handkarren den Wagen betreten wollte, musste er sich Respekt verschaffen. Er sprach mit lauter Stimme einen etwa dreißig Jahre alten Mann an:
    »Nun helfen Sie mir schon, Sie sehen doch, dass ich versehrt bin.«
    »Müssen Sie denn auch Ihre ganzen Habseligkeiten mit der Bahn quer durch Berlin karren. Hätten se doch auch bei Muttern unterstellen können.«
    Für einen Moment war Daut geneigt, den vorlauten Sprücheklopfer mit der Wahrheit zu konfrontieren, ließ es dann aber lieber. Das zweimalige Umsteigen klappte leidlich, zumindest aber ohne unverschämte Kommentare. Wie immer machte Daut die Luft in der U-Bahn zu schaffen, der Gestank schien ihm heute penetranter als sonst und verursachte einen leichten Würgereiz, den er nur kaum unterdrücken konnte. Deshalb war er nicht böse, als Lautsprecherdurchsagen die Passagiere informierten, dass der Verkehr zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Tor unterbrochen war. Anscheinend gab es durch Erschütterung verursachte Schäden am Tunnel. Ganz so folgenlos war der nächtliche Angriff also doch nicht gewesen. Jetzt verschaffte er Daut die Gelegenheit, an die frische Luft hinaufzusteigen. Seinen »Leichenwagen« hinter sich her ziehend, spazierte er über die Friedrichstraße. Auch wenn dieses nie der belebteste Teil des einstigen Prachtboulevards gewesen ist, war es jetzt gespenstisch ruhig. Die Menschen schlichen mit gesenkten Köpfen an den grauen Klinik- und Bürogebäuden vorbei. Grau war überhaupt die vorherrschende Farbe der Zeit. Häuser, Straßen, Kleidung, ja selbst die Gesichter der Menschen, alles wirkte, als hätte jemand die Farben herausgewaschen. Als er die Oranienburger überqueren wollte, brausten drei Krankenwagen Richtung Charité.
    Der Pförtner der Rechtsmedizin wies Daut an, in einem kleinen Verschlag am Eingang zu warten. Mit ihm saßen noch drei in sich gekehrte Frauen in dem Raum, den Blick zu Boden gesenkt. Warteten sie auf eine Todesnachricht? Weil kein Stuhl mehr frei war, nahm Daut auf der Kiste Platz. Er hätte jetzt gerne geraucht, traute sich aber nicht, um Erlaubnis zu fragen. Endlich wurde er aufgerufen. Ein junger Sektionsgehilfe öffnete die Kiste. Daut registrierte, dass sämtliches Blut aus seinem Gesicht verschwand, als er den verstümmelten Leichnam ansah. Sichtlich um Fassung bemüht, notierte er Dauts Angaben zu Fundort und -zeitpunkt auf einer Karteikarte. Die Konzentration auf diese Routinearbeiten ließ ihn die Fassung zurückgewinnen, die er allerdings von Neuem verlor, als er den ausgefüllten Zehenzettel anbringen wollte.
    »Nehmen Sie doch einfach einen Finger«, versuchte Daut die Situation zu entkrampfen. Der Gehilfe nestelte das Stück Papier an den Mittelfinger der rechten Hand, griff dann wieder die Karteikarte und fragte ohne aufzublicken:
    »Ermittelnder Kriminalbeamter?«
    Nachdem Daut ihm Rösens Namen, Dienstgrad und Telefonnummer diktiert hatte, verließ er das Leichenschauhaus wie jedes Mal mit großer Erleichterung. Erst jetzt merkte er, wie müde er nach dieser schlaflosen Nacht war. Er beschloss, so weit wie möglich zu Fuß zu gehen, um halbwegs wach zu werden. Seine Schicht war ohnehin beendet, und niemand erwartete ihn vor sechs Uhr am Abend auf dem Revier. Direkt hinter der Kreuzung der Friedrichstraße mit der Behrensstraße stand eine Sperre. Der davor stehende Wachtmeister klärte ihn auf, dass vermutlich ein Blindgänger in einem brachliegenden Grundstück niedergegangen sei.
    »Bevor der nicht entschärft ist, kommt hier niemand durch.«
    Daut setzte seinen Weg über die Mauerstraße fort. Bis zum Bahnhof Kochstraße wollte er laufen und von dort nach Hause fahren. Kurz vor
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