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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers
Autoren: Deon Meyer
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Messer.«
    »Übermannt«, sagte er, als schmeckte er das Wort.
    »Die Polizei … Sie haben nicht genug Leute. Es sind nicht alle zur Schicht gekommen.«
    »Sie sind beide entkommen.«
    »Es gibt Straßensperren. Der Stationschef sagt, sie werden nicht weit kommen.«
    Die Wut in ihm nahm ein anderes Gesicht an, von dem er nicht wollte, daß sie es bemerkte. »Wo können sie hin?«
    Die Staatsanwältin zuckte noch einmal mit den Achseln, als wäre es ihr vollkommen egal. »Wer weiß?«
    Als er nicht antwortete, beugte sie sich vor. »Ich wollte es Ihnen sagen. Sie haben das Recht, es zu wissen.«
    Sie erhob sich. Er wartete, bis sie an ihm vorbei war, dann stand er auf und folgte ihr bis zur Tür.
     
    Zweifel zeichnete sich auf dem Gesicht des Priesters ab. Er hatte seinen mächtigen Körper zurückgelehnt und den Kopf schräg
     gelegt, als wartete er darauf, daß sie ihre Aussage bewies, oder vielleicht darauf, daß sie den Satz mit einer Pointe zu Ende
     brachte.
    »Sie glauben mir nicht.«
    »Ich finde das … unwahrscheinlich.«
    Irgendwo verspürte sie ein Gefühl. Dankbarkeit? Erleichterung? Sie hatte es nicht zeigen wollen, aber ihre Stimme verriet
     sie. »Mein Szenename war Bibi.«
    |23| Seine Stimme war geduldig, als er antwortete. »Ich glaube Ihnen. Aber ich sehe Sie hier vor mir, ich höre Ihnen zu, und ich
     kann nicht anders, als mich zu fragen: warum. Warum war das notwendig für Sie?«
    Es war das zweite Mal, daß sie das gefragt wurde. Normalerweise fragten sie: »Wie?« Für diese Leute hatte sie eine Geschichte,
     die ihre Erwartungen befriedigte. Die wollte sie auch jetzt erzählen – sie lag ihr auf der Zunge, erprobt, bereit.
    Sie atmete ein, um sich zu beruhigen. »Ich könnte Ihnen erzählen, daß ich immer schon sexsüchtig war, eine Nymphomanin«, sagte
     sie entschlossen.
    »Aber das ist nicht die Wahrheit«, sagte er.
    »Nein, Hochwürden, das ist es nicht.«
    Er nickte, als würde er ihre Antwort gutheißen. »Es wird dunkel«, sagte er, stand auf und schaltete die Stehlampe in der Ecke
     ein. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee? Tee?«
    »Tee wäre schön, vielen Dank.« Sie fragte sich, ob er Zeit brauchte, um sich zu beruhigen.
    »Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er und öffnete die Tür schräg hinter ihr.
    Sie blieb allein und fragte sich, was das Schlimmste war, was er in diesem Raum gehört hatte. Welche Kleinstadt-Skandale?
     Teenager-Schwangerschaften? Affären? Häusliche Gewalt: Schläge am Freitagabend?
    Warum blieb jemand wie er hier? Vielleicht genoß er den Status, denn Ärzte und Priester waren wichtige Menschen in den ländlichen
     Gebieten, daß wußte sie. Oder vielleicht lief er davon, wie sie? So wie er auch jetzt wieder davongelaufen war, als wäre eine
     bestimmte Ebene der Wirklichkeit zu viel für ihn geworden.
    Er kehrte zurück, schloß die Tür hinter sich. »Meine Frau bringt uns gleich Tee«, sagte er und setzte sich.
    Sie wußte nicht, wie sie anfangen sollte. »Habe ich Sie verärgert?«
    Er dachte eine Weile darüber nach, bevor er antwortete, als |24| müßte er die Worte erst sammeln. »Was mich ärgert, ist eine Welt – eine Gesellschaft –, die es jemand wie Ihnen erlaubt, die
     Orientierung zu verlieren.«
    »Jeder von uns verliert manchmal die Orientierung.«
    »Aber wir werden nicht alle Prostituierte«, sagte er und deutete mit einer großen Geste auf sie, die alles einschloß. »Warum
     war das notwendig?«
    »Sie sind der zweite Mensch, der mich das fragt.«
    »Ach?«
    »Der andere war ein Polizist in Kapstadt mit zerzaustem Haar.« Sie lächelte, als sie daran zurückdachte. »Griessel – er hatte
     einen sanften Blick, aber er konnte direkt durch einen hindurchschauen.«
    »Haben Sie ihm die Wahrheit gesagt?«
    »Beinahe.«
    »War er ein … wie nennen Sie sie?«
    »Ein Klient?« Sie lächelte.
    »Ja.«
    »Nein. Er war … bloß … ich weiß auch nicht … verloren?«
    »Ich verstehe«, sagte der Priester.
    Es klopfte leise an der Tür, und er mußte aufstehen, um das Tablett mit dem Tee entgegenzunehmen.

5
    Detective Inspector Benny Griessel öffnete die Augen. Seine Frau stand vor ihm, sie rüttelte ihn mit einer Hand an seiner
     Schulter und flüsterte drängend: »Benny! Benny, bitte.« Er lag auf dem Wohnzimmersofa, das wußte er. Er mußte hier eingeschlafen
     sein. Er roch Kaffee; sein Kopf pulsierte schmerzhaft. Der Arm, der unter ihm eingeklemmt lag, war taub, der Blutkreislauf
     durch sein
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