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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers
Autoren: Deon Meyer
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seine Hände.
    »Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.«
    »Beginnen Sie am Anfang«, sagte er sanft, und sie wollte in seinem Mitgefühl baden.
    »Am Anfang.« Sie nickte, und ihre Stimme gewann an Stärke. Ihre Finger griffen nach dem langen blonden Haar, das ihr über
     die Schulter hing, und schoben es mit einer geübten, rhythmischen Bewegung nach hinten.

2
    Für Thobela Mpayipheli begann alles spät an einem Samstagnachmittag an einer Tankstelle in Cathcart.
    Pakamile saß hinter ihm, acht Jahre alt, gelangweilt und müde. Der lange Weg von Amersfoort lag hinter ihnen, sieben Stunden
     Fahrt. Als sie an der Tankstelle hielten, seufzte der Junge. »Noch ganze sechzig Kilometer?«
    »Nur noch sechzig Kilometer«, sagte Thobela beruhigend. »Möchtest du etwas Kaltes trinken?«
    |8| »Nein, danke«, sagte der Junge und hob die Halbliter-Colaflasche, die zu seinen Füßen gelegen hatte. Sie war noch nicht leer.
    Thobela hielt vor den Tanksäulen und stieg aus dem Bakkie. Kein Tankwart in Sicht. Er reckte und streckte sich, ein großer
     Schwarzer in Jeans, rotem Hemd und Laufschuhen. Er ging um den Wagen herum und überprüfte, daß die Motorräder auf der Ladefläche
     immer noch fest verzurrt waren – Pakamiles kleine KX 65 und seine große BMW. Sie hatten am Wochenende gelernt, im Gelände
     zu fahren, ein offizieller Kurs durch Sand und Kies, Wasser, Hügel, Unebenheiten, Bachbetten und Täler. Er hatte gesehen,
     wie die Selbstsicherheit des Jungen von Stunde zu Stunde zunahm, die Begeisterung glühte heller mit jedem Ruf: »Sieh nur,
     Thobela, was ich kann!«
    Sein Sohn …
    Wo war der Tankwart?
    An einer weiteren Tanksäule stand noch ein Wagen, ein weißer Polo – der Motor lief, aber es saß niemand im Wagen. Eigenartig.
     Thobela rief: »Hallo!« Er sah eine Bewegung im Gebäude. Jetzt kamen sie wohl.
    Er wandte sich um, wollte die Motorhaube des Bakkies öffnen, schaute zum Horizont im Westen, wo die Sonne unterging … Bald
     würde es dunkel. Da hörte er den ersten Schuß. Er donnerte durch die Stille des frühen Abends und Thobela zuckte erschrocken
     zusammen und ging instinktiv in die Knie. »Pakamile!« rief er. »Runter!« Aber seine Worte wurden übertönt durch einen weiteren
     Schuß und noch einen, und dann sah er sie zur Tür herauslaufen – zwei Männer, Pistolen in Händen, einer trug eine weiße Plastiktüte,
     sein Blick war wild. Sie entdeckten ihn, schossen. Kugeln klatschten in die Tanksäule, in den Bakkie.
    Er schrie, ein tiefes Röhren, dann sprang er hoch, riß die Autotür auf und hechtete hinein; er versuchte den Jungen vor den
     Kugeln zu schützen. Er spürte den kleinen Körper zittern. »Okay«, sagte er und hörte die Schüsse, das Blei flog über sie hinweg.
     Er hörte eine Wagentür zuknallen, dann eine weitere, |9| schließlich Reifenquietschen. Er schaute auf – der Polo fuhr zur Straße. Noch ein Schuß. Das Glas einer Werbetafel über ihm
     zerbarst und prasselte auf den Bakkie herunter. Dann waren sie auf der Straße, der Motor des Volkswagens jaulte, und er murmelte:
     »Es ist okay, okay«, und er spürte die Feuchtigkeit auf seiner Hand, und Pakamile hatte aufgehört zu zittern, und er sah das
     Blut auf dem Körper des Jungen und sagte: »Nein, Gott, nein.«
    So begann es alles für Thobela Mpayipheli.
     
    Er saß im Zimmer des Jungen auf dem Bett. Der Zettel in seiner Hand war der letzte Beweis.
    Im Haus war es grabesstill, zum ersten Mal, seit er zurückdenken konnte. Vor zwei Jahren hatten Pakamile und er die Tür aufgedrückt
     und das staubige Innere in Augenschein genommen, die leeren Zimmer. Die Glühbirnen hingen schief von der Decke, Küchenschränke
     waren zerbrochen oder standen offen, aber sie beide sahen bloß die Möglichkeiten, das Versprechen ihres neuen Hauses oberhalb
     des Cata River, inmitten der grünen Felder, im Hochsommer. Der Junge war durch das Haus gelaufen und hatte Fußabdrücke im
     Staub hinterlassen. »Das hier ist mein Zimmer, Thobela«, hatte er durch den Flur gerufen. Als er das Elternschlafzimmer erreichte,
     hatte er beeindruckt über die Größe des Raumes gepfiffen. Denn er kannte bloß ein winziges Vier-Zimmer-Haus in den Townships
     der Cape Flats.
    In jener ersten Nacht hatten sie auf der Veranda geschlafen. Zuerst hatten sie zugeschaut, wie die Sonne hinter Gewitterwolken
     versank und die Dämmerung über das Land hereinbrach, sie hatten zugesehen, wie die Schatten der großen Bäume neben dem Tor
     mit der
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