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Der arme Spielmann

Der arme Spielmann

Titel: Der arme Spielmann
Autoren: Franz Grillparzer
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Herzen zu liegen schien. Immer aber kehrte sie wieder zu ihrem Buche zurück. So kam das Geleite zum Friedhof. Das Grab war geöffnet. Die Kinder warfen die ersten Handvoll Erde hinab. Der Mann tat stehend dasselbe. Die Frau kniete und hielt ihr Buch nahe an die Augen. Die Totengräber vollendeten ihr Geschäft, und der Zug, halb aufgelöst, kehrte zurück. An der Türe gab es noch einen kleinen Wortwechsel, da die Frau eine Forderung des Leichenbesorgers offenbar zu hoch fand. Die Begleiter zerstreuten sich nach allen Richtungen. Der alte Spielmann war begraben.
    Ein paar Tage darauf – es war ein Sonntag – ging ich, von meiner psychologischen Neugierde getrieben, in die Wohnung des Fleischers und nahm zum Vorwande, daß ich die Geige des Alten als Andenken zu besitzen wünschte. Ich fand die Familie beisammen ohne Spur eines zurückgebliebenen besondern Eindrucks. Doch hing die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem Spiegel und einem Kruzifix gegenüber an der Wand. Als ich mein Anliegen erklärte und einen verhältnismäßig hohen Preis anbot, schien der Mann nicht abgeneigt, ein vorteilhaftes Geschäft zu machen. Die Frau aber fuhr vom Stuhle empor und sagte: »Warum nicht gar! Die Geige gehört unserem Jakob, und auf ein paar Gulden mehr oder weniger kommt es uns nicht an!« Dabei nahm sie das Instrument von der Wand, besah es von allen Seiten, blies den Staub herab und legte es in die Schublade, die sie, wie einen Raub befürchtend, heftig zustieß und abschloß. Ihr Gesicht war dabei von mir abgewandt, so daß ich nicht sehen konnte, was etwa darauf vorging. Da nun zu gleicher Zeit die Magd mit der Suppe eintrat und der Fleischer, ohne sich durch den Besuch stören zu lassen, mit lauter Stimme sein Tischgebet anhob, in das die Kinder gellend einstimmten, wünschte ich gesegnete Mahlzeit und ging zur Türe hinaus. Mein letzter Blick traf die Frau. Sie hatte sich umgewendet, und die Tränen liefen ihr stromweise über die Backen.

Informationen zum Autor
    Franz Grillparzer
    Geboren am 15.1.1791 in Wien; gestorben am 21.1.1872 in Wien
    1807 nahm Grillparzer, Sohn eines angesehenen Rechtsanwalts, in Wien das Studium der Rechte auf. Nach dem Studienabschluß 1811 war er zunächst Privatlehrer, dann Beamter. Nach einer (unbesoldeten) Konzipistenstelle in der Hofbibliothek wurde er 1813 bei der Hofkammer als Konzeptspraktikant angestellt, 1821 ins Finanzministerium versetzt. 1832 wurde er Direktor des Hofkammerarchivs und bekleidete diese Stelle, bis er 1856 in den Ruhestand trat.
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    Werke u.a.
1817 Die Ahnfrau
1819 Sappho
1822 Das goldene Vließ
1825 König Ottokars Glück und Ende
1828 Ein treuer Diener seines Herrn
1835 Tristia ex Ponto
1840 Des Meeres und der Liebe Wellen
1840 Der Traum ein Leben
1840 Weh' dem, der lügt!
1847 Der arme Spielmann
1847 Libussa
1848 Feldmarschall Radetzky
1848 Ein Bruderzwist in Habsburg
1851 Die Jüdin von Toledo

Impressum
    Verlag: ekz.bibliotheksservice GmbH, Reutlingen
    Ebook erstellt durch epublius GmbH , Berlin
    ISBN: 978-3-95608-404-1
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