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Der afrikanische Spiegel

Der afrikanische Spiegel

Titel: Der afrikanische Spiegel
Autoren: Liliana Bodoc
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bereits gelernt, echte Antiquitäten zu erkennen und von wertlosem Plunder oder Fälschungen zu unterscheiden. Er drehte den Spiegel um und sah, dass unten etwas in das Holz geritzt war.
    „Hier ist er beschädigt“, sagte er geschäftsmännisch.
    „Ich überlasse ihn dir für nur vier Münzen“, erwiderte der Junge.
    Dorel wusste, dass der Spiegel viel mehr wert war, ob er beschädigt war oder nicht. Maria Petra würde sich über den guten Kauf bestimmt freuen.
    „Ich gebe dir drei“, bot Dorel dem rothaarigen Jungen an.
    „Das Geld ist für Medikament e …“ Es war offensichtlich, dass der Junge die Wahrheit sagte. „Ich brauche die vier Münzen, um sie kaufen zu können.“
    Dorel zögerte. Aber in seinem Kopf schrillten die Worte von Maria Petra: „Lass dich nie von der Blässe, dem Hunger oder der tragischen Lebensgeschichte eines Kunden erweichen, sonst ruinierst du mir das Geschäft!“
    Daher entgegnete Dorel: „Drei Münzen oder gar nichts!“
    „Also gut“, sagte der Junge. „Das ist immerhin etwas. Dann müssen wir sehen, wie wir die fehlende Münze auftreiben.“
    Er nahm die drei Münzen, die Dorel aus einer Blechbüchse geholt hatte, verabschiedete sich und ging.
    Dorel polierte die neu erworbene Antiquität mit einem Tuch, um sie Maria Petra zu zeigen, wenn sie von ihrer Tante zurückkam. Zuerst nahm er sich die Rückseite vor, bis das Ebenholz glänzte.
    Was hat dieses eingeritzte Zeichen wohl zu bedeuten?, fragte er sich.
    Dann befeuchtete er das Tuch mit Alkohol, um das Glas zu putzen.
    Da zeigte der Spiegel ihm sein Gesicht, das vom ständigen Eingesperrtsein aschfahl war. Seine Augen wirkten alt, weil sie nichts von der Welt sahen. Dorel versuchte zu lächeln und stellte fest, dass sein Mund es verlernt hatte. Sein Herz begann so heftig zu klopfen, als hätte er eine Trommel in der Brust.
    Ta m …
    Tam, tam.
    Ta m …
    Tam, tam.
    Warum hatte er dem Jungen nicht vier Münzen gegeben, obwohl er wusste, dass der Spiegel mehr als zehn wert war? Vielleicht war er Maria Petra bereits zu ähnlich geworden. Als er sich genauer betrachtete, sah er sogar die gleichen Züge in seinem Gesicht. Aber er wollte ihr nicht ähneln! Er wollte wie seine Mutter sein. Leider hatte er sie nie kennengelernt, doch er stellte sie sich immer als eine sanftmütige Frau vor, die schön singen konnte. Seine Mutter hätte nie einen Menschen in Not ausgenutzt.
    Maria Petra würde mit dem guten Kauf zufrieden sein.
    Aber der Lehrer hatte immer gesagt: „Ein Mensch ist so groß wie sein Herz.“
    Und seine Mutter, was würde sie dazu sagen? „Vielleicht schaffst du es noch, den Jungen einzuholen.“
    Dorel nahm eine weitere Münze aus der Blechbüchse.
    „Lauf, Dorel, lauf weg, so weit du kannst!“
    „Geh bloß nicht hinaus auf die Straße, Dorel, denn die Mauren sind wieder auf der Jagd nach Köpfen!“
    „Dieser Krieg ist seit dreihundert Jahren vorbei, Dorel.“
    „Sie sind auf der Jagd nach Köpfen, Dorel!“
    „Dieser Krieg ist seit dreihundert Jahren vorbei, Dorel.“
    „Geh bloß nicht hinaus auf die Straße, Dorel!“
    Was würde seine Mutter sagen? „Lauf, Dorel, lauf weg, so weit du kannst!“
    „Sie sind auf der Jagd nach Köpfen!“
    „Das ist dreihundert Jahre her. Ein Mensch ist so groß wie sein Herz.“
    Dorel nahm den Spiegel, um sich Mut zu machen. Er ging ein paar Schritte in Richtung Tür. Er würde sie nur öffnen. Vielleicht war der Junge noch in der Nähe und bettelte um die Münze, die ihm fehlte.
    Die Glöckchen an der Tür klingelten, als Dorel den Kopf hinausstreckte. Er blickte rechts und links die Straße hinunter. Der Junge, der ihm gerade den kleinen Ebenholzspiegel verkauft hatte, war nicht zu sehen.
    Dorel holte tief Luft. Er könnte es riskieren, bis zur Straßenecke zu laufen. Er würde dem Jungen die vierte Münze für seine Medizin geben und sofort zurückkehren. Er atmete noch einmal tief durch. Die Luft draußen war voller Gerüche.
    Er schloss die Tür hinter sich und lief los.

In Geschichten kann …

    In Geschichten kann die Zeit vor- und zurückspringen. Sie hat keine feste Form und keinen vorgeschriebenen Verlauf. Doch sie hat Flügel, um nach Belieben durch irgendeinen Himmel zu fliegen. Durch den Himmel von heute, den Himmel von gestern, den Himmel, der erst noch entstehen muss, und den Himmel, der nie enden wird.
    Mit zwölf Jahren wurde Atima Imaoma von Señor Fontezo y Cabrera verkauft und kam auf ein Landgut in der Provinz Mendoza.
    Trotz ihrer
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