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Der afrikanische Spiegel

Der afrikanische Spiegel

Titel: Der afrikanische Spiegel
Autoren: Liliana Bodoc
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dieser Krieg schon seit dreihundert Jahren vorbei is t …“
    Endlich verstand Maria Petra. Es war dieser elende Lehrer, der ihrem Waisenkind Unsinn erzählte und Flausen in den Kopf setzte! Aber sie war eine charakterstarke Frau und wusste genau, was sie zu tun hatte.
    „Nie wieder!“, verkündete sie. Sie stand auf und keifte, während sie um den Tisch herumlief: „Ich erlaube nicht, dass dieser Kerl dich weiterhin besucht! Ich lasse weder ihn noch seine Bücher je wieder durch meine Tür!“ Maria Petra betonte das Wort „meine“. „Das werde ich diesem studierten Affen am kommenden Samstag ins Gesicht sagen, sobald er sich hier blicken lässt!“
    Natürlich machte Maria Petra ihre Drohung wahr.
    Am Samstagnachmittag kam der Lehrer, um Dorel zu unterrichten. Er klopfte an die Tür, und als Maria Petra erschien, nahm er wie immer lächelnd den Hut ab, weil er ein höflicher Mensch war.
    „Guten Tag, gnädige Frau.“
    Da streckte die Besitzerin des größten Antiquitätengeschäfts von Valencia den Arm aus und rief: „Verschwinden Sie! Und halten Sie sich von meinem Haus fern!“
    Der Lehrer dachte, dass es sich um einen Scherz oder ein Missverständnis handelte, und lächelte noch breiter.
    „Ich verstehe nicht“, sagte er.
    „Was verstehen Sie nicht?“ Maria Petra wiederholte laut und deutlich: „Halten Sie sich von meinem Haus fern!“ Und sie betonte das „meinem“.
    Da dem Lehrer nichts Besseres einfiel, als auf eine Erklärung zu bestehen, sah Maria Petra sich genötigt, ihm ins Gesicht zu schreien, was sie gegen seine Bücher und Ideen, seine Zahlen und Buchstaben, seine Landkarten und lateinischen Vokabeln hatte.
    Alle Gegenargumente, die der Lehrer vorzubringen versuchte, nutzten nichts.
    Maria Petra war vollkommen außer sich und forderte ihn immer wieder auf, zu verschwinden und nie mehr wiederzukommen, um ihrem armen Waisenkind den Kopf zu verdrehen. Vor allem solle er nie wieder behaupten, der Krieg gegen die Mauren sei schon seit dreihundert Jahren zu Ende, denn sie höre die Mauren jede Nacht ihre Krummsäbel schärfen.
    Nachdem der Lehrer eine Weile versucht hatte, Maria Petra zu beruhigen, gab er sich geschlagen. Doch er blieb höflich und hob zum Abschied die Hand an den Hut.
    Bevor er ging, sah er durch das Schaufenster des Antiquitätengeschäfts zu seinem Schüler. Zwischen den Teekannen aus gehämmertem Silber, den Schwertern und bestickten Kissen wirkte Dorel wie ein Porzellanengel.
    Der Lehrer winkte dem Jungen zu und blickte ihn an, als wollte er ihm mit den Augen etwas Wichtigeres sagen. Etwas wie: „Lauf weg, so weit du kannst, Dorel.“
    In derselben Woche stand Maria Petras monatlicher Besuch bei ihrer Tante an.
    Seit der Auseinandersetzung mit dem Lehrer hatte sie kaum den Mund aufgemacht, und wenn, dann nur, um Dorel Befehle zu erteilen, die er ohne Murren befolgt hatte.
    Es war zwei Uhr nachmittags, als Maria Petra in einem blauen Kleid und mit ihrem Hut im Geschäft erschien.
    „Ich gehe aus“, sagte sie und fügte unnötigerweise hinzu: „Ich besuche meine Tante.“
    „Natürlich, Señora.“
    „Du bleibst auf dem Posten, Dorel.“
    Die Bronzeglöckchen klingelten fröhlich, als Maria Petra die Tür zur Straße öffnete.
    Mit einem Seufzer stieß Dorel die ganze Luft aus, die sich in seiner Brust angestaut hatte. Er lächelte zwar nicht, aber er fühlte sich erleichtert.
    Maria Petra hatte noch nicht einmal die nächste Straßenecke erreicht, als ein rothaariger Junge das Antiquitätengeschäft betrat. Er trug ein kleines Päckchen in den Händen und wirkte ängstlich oder schüchtern.
    „Meine Mutter schickt mich“, sagte er. „Sie möchte das hier verkaufen.“
    Der Junge packte seinen Schatz aus. Es handelte sich um einen etwa handtellergroßen Spiegel mit einem Ebenholzrahmen.
    Ohne ihn genauer anzusehen, lehnte Dorel ihn mit einem Kopfschütteln ab. Doch der Junge ließ nicht locker.
    „Schau, dieser Spiegel kommt aus Amerika. Mein Vater hat ihn mitgebracht. Er ist Unteroffizier und vor Kurzem heimgekehrt, weil er im Kampf gegen die Armee von General San Martín verwundet wurde. Hast du von dem Krieg gehört?“
    Dorel wusste von diesem Krieg auf der anderen Seite des Ozeans. Der Lehrer hatte ihm davon erzählt und ihm erklärt, welche Rolle Spanien dabei spielte.
    Während Dorel sich erinnerte, fuhr der Junge fort: „Wenn du ihn genau betrachtest, siehst du, wie schön der Rahmen geschnitzt ist.“
    Dorel nahm den Spiegel in die Hände. Er hatte
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