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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane
Autoren: Frederick Forsyth
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das Handy hervorzuholen und wieder auf den Attachekoffer zu legen, wo er es gefunden hatte. Schuldbewusst und erschreckt sah er, dass es noch eingeschaltet war. Sofort schaltete er es aus. Dabei dachte er an Batterieverschwendung, nicht an eine mögliche Entdeckung. Aber es war ohnehin acht Sekunden zu spät. Das Ortungsgerät hatte seine Arbeit getan.
    »Sie haben es tatsächlich gefunden?«, rief O'Dowd. Plötzlich kam ihm der Tag wie Weihnachten und mehrere Geburtstage zusammen vor.
    »Ohne Frage, Brian. Der Anruf kam aus der obersten Etage eines fünfstöckigen Gebäudes in der Altstadt. Zwei meiner Undercover-Leute sind dorthin unterwegs, um sich das Haus und die Zugänge anzusehen.«
    »Wann wollen Sie zugreifen?«
    »Sobald es dunkel ist. Ich würde gern bis drei Uhr morgens abwarten, aber das Risiko ist zu groß. Bis dahin könnte der Vogel ausgeflogen sein …«
    Colonel Razak war ein Jahr am Camberley Staff College in England gewesen und hatte einen vom Commonwealth geförderten Kurs absolviert, und er war stolz auf seine Beherrschung des englischen Idioms.
    »Kann ich mitkommen?«
    »Möchten Sie das gern?«
    »Ist der Papst katholisch?«, fragte der Ire.
    Razak lachte laut. Dieses Wortgeplänkel gefiel ihm. »Als einer, der an den einen wahren Gott glaubt, kann ich das nicht beantworten«, sagte er. »Also gut. Um sechs in meinem Büro. Aber Mufti. Und ich meine unser Mufti.«
    »Mufti« bedeutete Zivilkleidung: Keine Uniformen, aber auch nichts Westliches, wollte er damit sagen. In der Altstadt, vor allem im Qissa Khawani Basar, erregten nur das shalwar kameez aus weiter Hose und langem Hemd und die Gewänder und Turbane der Bergstämme keine Aufmerksamkeit, und daran hatte sich auch O'Dowd zu halten.
    Der britische Agent erschien kurz vor sechs in seinem schwarzen Toyota Land Cruiser mit den schwarz getönten Scheiben. Ein britischer Landrover wäre vielleicht patriotischer gewesen, aber der Toyota war das bevorzugte Fahrzeug der einheimischen Fundamentalisten und würde deshalb nicht weiter auffallen. Er brachte eine Flasche Chivas Regal mit, Abdul Razaks Lieblingsgetränk. Er hatte seinen pakistanischen Freund einmal wegen seiner Vorliebe für das alkoholische Destillat aus Schottland getadelt.
    »Ich betrachte mich als guten, jedoch nicht als besessenen Muslim«, hatte Razak erklärt. »Ich rühre kein Schweinefleisch an, aber ich finde nichts Verwerfliches am Tanzen oder an einer guten Zigarre. Diese Dinge zu verbieten, das ist Taliban-Fanatismus, den ich nicht teile. Und was die Traube oder auch das Korn angeht – in den ersten vier Kalifaten war das Weintrinken weit verbreitet, und wenn ich eines Tages im Paradies von jemandem dafür gescholten werde, der höher steht als Sie, werde ich den allbarmherzigen Allah um Vergebung bitten. Bis dahin können Sie aber ruhig noch einmal einschenken.«
    Es war vielleicht merkwürdig, dass ein Panzeroffizier einen guten Polizisten abgab, doch Abdul Razak war einer. Er war sechsunddreißig, verheiratet und Vater zweier Kinder, gebildet. Er besaß die Fähigkeit zu lateralem Denken und war ruhig und feinfühlig, und seine Taktik war die des Mungo vor der Kobra, nicht die eines wütenden Elefanten. Er wollte die Wohnung im Obergeschoss des Wohnhauses nicht mit einem wilden Feuergefecht stürmen, wenn es sich vermeiden ließe. Er würde ruhig und unauffällig vorgehen.
    Peschawar ist eine uralte Stadt, und der Qissa Khawani Basar ist ihr ältester Teil. Viele Jahrhunderte hindurch rasteten hier die Karawanen, die die große Handelsstraße über den Khyberpass nach Afghanistan bereisten, um Menschen und Kamele zu erfrischen. Und wie jeder gute Basar hat auch der Qissa Khawani stets alles geboten, was der Mensch zum Leben braucht: Wolldecken, Tücher, Teppiche, Messinggeräte, Kupferschalen, Lebensmittel und Getränke. Das ist noch heute so.
    Das Treiben hier ist multiethnisch und vielsprachig. Wer sich auskennt, sieht die Turbane der Afridi, Wasiri, Ghilzai und der Pakistani aus der Umgebung und dazwischen die Mützen aus der Stadt Chitral im Norden des Landes und die pelzbesetzten Wintermützen der Tadschiken und Usbeken.
    In diesem Labyrinth aus engen Straßen und Gassen, in denen man jeden Verfolger abschütteln kann, finden sich die Läden und Stände des Uhrenbasars, des Korbbasars und der Geldwechsler; es gibt den Vogelbasar und den Basar der Geschichtenerzähler. In den Zeiten des Empires nannten die Briten Peschawar den Piccadilly Zentralasiens.
    Die
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