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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2
Autoren: Rachel Ward
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Zahl.
    Sie hat Angst.
    Angst vor mir.

SARAH
    Sie wollen wissen, was mit mir los ist, wieso ich versucht habe wegzulaufen. Was soll ich sagen? Was soll ich ihnen sagen, ohne idiotisch zu klingen? Dass ich gerade dem Jungen begegnet bin, den ich in meinen Albträumen sehe? Dass wir Nacht für Nacht zusammen in einem Inferno gefangen sind und er ein Baby schnappt, mein Baby, und mit ihm in die Flammen läuft?
    Und plötzlich ist er hier, an meiner neuen Schule. Dieser Teufel. Diese Gestalt, die nur in meinem Kopf existiert – er ist hier.
    Und ich weiß jetzt, dass es kein Albtraum ist. Es ist etwas anderes, etwas Reales.
    Ja, das kommt bestimmt gut an. Dad hat ihnen alles über mich erzählt, meine Bilanz an Suspendierungen, Rauswürfen, Ausschlüssen. Jetzt werden sie glauben, ich bin nicht nur verdorben, sondern auch noch verrückt. Also sage ich nichts. Keine Erklärung. Keine Entschuldigung. Ich kriege den Standardanschiss. Sie wissen alles über meine Vergangenheit, aus welchen Schulen ich rausgeflogen bin und warum. Ich bin offensichtlich privilegiert, weil sie mir hier einen Platz geben. Ich sollte es als Chance sehen, noch mal von vorn anfangen zu dürfen, das Blatt noch mal wenden zu können.
    Ich stehe da und denke: Ihr wisst doch einen Scheißdreck von mir . Und ich spüre, wie mein Bauch gegen den harten Bund des Rocks drückt. Keiner weiß was. Keiner kennt die ganze Wahrheit.
    Dann bringen sie mich zurück zur Registrierung, verpflichten einen ernst schauenden Jungen, der aufpassen soll, dass ich auch wirklich zu meinem Betreuungslehrer komme und nicht noch einmal ohne Erlaubnis verschwinde. Ich suche die Flure nach diesem anderen Jungen, dem Albtraum-Jungen ab. Ich bleibe in der Tür zu der Klasse meines Betreuungslehrers stehen und checke die Schüler, bevor ich reingehe. Wenn er da drin ist, in der Gruppe meines Betreuungslehrers, dann bleib ich nicht. Aber er ist nicht da. Eine Weile fühle ich mich erleichtert. Also suche ich mir einen Platz, setze mich hin, den Blick nach vorn gerichtet, während mein Betreuungslehrer weiter faselt. Ich höre kein Wort von dem, was er sagt. Mein einziger Gedanke ist: Ist er real, dieser Junge? Wer ist er? Wieso ist er hier? Nach einer Weile bin ich halbwegs überzeugt, dass ich mir alles nur eingebildet habe, dass ich wirklich verrückt bin und mich mein Verstand so langsam nicht nur nachts, sondern auch am Tag im Stich lässt.
    Dann, in der Pause, sehe ich ihn wieder.
    Er sitzt allein auf einer kleinen Mauer am Naturwissenschaftstrakt. Ich kann ihn betrachten, ohne dass er mich sehen kann. Ich versuche meine Wahnvorstellungen aus dem Kopf zu kriegen und ihn so zu betrachten, wie es ein normales menschliches Wesen tun würde. Ich beobachte ihn.
    Er ist einer von diesen Menschen, die keine Sekunde still sitzen können. Die ganze Zeit zuckt sein Fuß hin und her. Ab und zu nickt er mit dem Kopf, als ob er Musik hören würde, aber ich seh keine Kopfhörer.
    Es überrascht mich nicht, dass er allein ist. Er hat etwas Merkwürdiges an sich, etwas, das anders ist, die Art, wie er sich bewegt, die ganze Art, wie er sich verhält. Wovor habe ich eigentlich Angst? Er ist doch nichts als ein komischer Kauz, ein Freak, ein Niemand.
    Nach einer Weile zieht er ein Notizbuch aus der Tasche, beugt sich vor, legt den Arm um das Buch und fängt an zu schreiben. Was immer er aufschreibt, offenbar will er nicht, dass jemand anders es sieht. Also hat er Geheimnisse, dieser Junge – das gefällt mir irgendwie. Genauso, wie mir gefällt, dass er ein Buch hat, auf Papier schreibt, denn ich liebe es, auf Papier zu zeichnen, das Gefühl, einen Bleistift in der Hand zu halten. So was tut heute kaum noch jemand – alles geht nur noch per Touchscreen und Stimmerkennung. Er ist anders. Anders ist in Ordnung. Und ich möchte zu gern wissen, was er schreibt.
    Er dreht sich um und seine rechte Gesichtshälfte fängt das Licht auf. Er sieht wirklich gut aus, nein, mehr als das, er ist schön: die Form des Gesichts, die tief liegenden Augen, die Ausgeprägtheit seiner Kieferpartie, die geschwungene Linie seiner Lippen. Und seine Haut. Sie besitzt einen warmen Braunton, fast honigfarben, und wirkt so glatt und klar … das ist nicht richtig. Der Junge in meinem Albtraum, der, vor dem ich mich fürchte, ist vernarbt, sein Gesicht ist so gezeichnet, dass du die Rauheit fühlen kannst.
    Das ist er gar nicht.
    Es kann nicht sein.
    Ich schnaube und schüttle den Kopf. Ich hab mich selbst
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