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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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auffassen. Es wird mir ja im
    ”
    Grund kein Vergnügen machen, Gewehrfeuer auf lebende Menschen zu kom-
    mandieren, aber das wird nebensächlich sein. Es wird jetzt jeder von uns in das große Rad hineinkommen. Du auch. Du wirst sicher ausgehoben werden.“
    Und deine Mutter, Demian?“
    ”
    Erst jetzt besann ich mich wieder auf das, was vor einer Viertelstunde gewesen war. Wie hatte sich die Welt verwandelt! Alle Kraft hatte ich zusammen-gerissen, um das süßeste Bild zu beschwören, und nun sah mich das Schicksal plötzlich neu aus einer drohend grauenhaften Maske an.
    Meine Mutter? Ach, um die brauchen wir keine Sorge zu haben. Sie ist
    sicher, sicherer als irgendjemand es heute auf der Welt ist. – Du liebst sie so sehr?“
    Du wußtest es, Demian?“ Er lachte hell und ganz befreit.
    ”Kleiner Junge! Natürlich wußte ich’s. Es hat noch niemand zu meiner Mut-
    ”
    ter Frau Eva gesagt, ohne sie zu lieben. Übrigens, wie war das? Du hast sie oder mich heute gerufen, nicht?“
    Ja, ich habe gerufen– Ich rief nach Frau Eva.“
    ”Sie hat es gespürt. Sie schickte mich plötzlich weg, ich müsse zu dir. Ich
    ”
    hatte ihr eben die Nachrichten über Rußland erzählt.“
    Wir kehrten um und sprachen wenig mehr, er machte sein Pferd los und
    stieg auf.
    In meinem Zimmer oben spürte ich erst, wie erschöpft ich war, von Demians Botschaft und noch viel mehr von der vorherigen Anspannung. Aber Frau Eva hatte mich gehört! Ich hatte sie mit meinen Gedanken im Herzen erreicht. Sie wäre selbst gekommen wenn nicht– Wie sonderbar war dies alles, und wie
    schön im Grunde! Nun sollte ein Krieg kommen. Nun sollte das zu geschehen beginnen, was wir oft und oft geredet hatten. Und Demian hatte so viel davon voraus gewußt. Wie seltsam, daß jetzt der Strom der Welt nicht mehr irgendwo an uns vorbeilaufen sollte –, daß er jetzt plötzlich mitten durch unsere Herzen ging, daß Abenteuer und wilde Schicksale uns riefen und daß jetzt oder bald der Augenblick da war, wo die Welt uns brauchte, wo sie sich verwandeln wollte. Demian hatte recht, sentimental war das nicht zu nehmen. Merkwürdig 106
    war nur, daß ich nun die so einsame Angelegenheit
    Schicksal“ mit so vielen,
    ””
    mit der ganzen Welt gemeinsam erleben sollte. Gut denn!
    Ich war bereit. Am Abend, als ich durch die Stadt ging, brausten alle Winkel von der großen Erregung. Überall das Wort Krieg“!
    ”
    Ich kam in Frau Evas Haus, wir aßen im Gartenhäuschen zu Abend. Ich war der einzige Gast. Niemand sprach ein Wort von Krieg. Nur spät, kurz ehe ich wegging, sagte Frau Eva: Lieber Sinclair, Sie haben mich heut gerufen. Sie
    ”
    wissen, warum ich nicht selbst kam. Aber vergessen Sie nicht: Sie kennen jetzt den Ruf, und wann immer Sie jemand brauchen, der das Zeichen trägt, dann rufen Sie wieder!“
    Sie erhob sich und ging durch die Gartendämmerung voraus. Groß und
    fürstlich schritt die Geheimnisvolle zwischen den schweigenden Bäumen, und über ihrem Haupt glommen klein und zart die vielen Sterne.
    Ich komme zum Ende. Die Dinge gingen ihren raschen Weg. Bald war Krieg, und Demian, wunderlich fremd in der Uniform mit dem silbergrauen Mantel, fuhr davon. Ich brachte seine Mutter nach Hause zurück. Bald nahm auch
    ich Abschied von ihr, sie küßte mich auf den Mund und hielt mich einen
    Augenblick an ihrer Brust, und ihre großen Augen brannten nah und fest in meine.
    Und alle Menschen waren wie verbrüdert. Sie meinten das Vaterland und
    die Ehre. Aber es war das Schicksal, dem sie alle einen Augenblick in das unverhüllte Gesicht schauten. Junge Männer kamen aus Kasernen, stiegen in Bahnzüge, und auf vielen Gesichtern sah ich ein Zeichen – nicht das unsre –
    ein schönes und würdevolles Zeichen, das Liebe und Tod bedeutete. Auch ich wurde von Menschen umarmt, die ich nie gesehen hatte, und ich verstand es und erwiderte es gerne. Es war ein Rausch, in dem sie es taten, kein Schicksalswille, aber der Rausch war heilig, er rührte daher, daß sie alle diesen kurzen, aufrüttelnden Blick in die Augen des Schicksals getan hatten.
    Es war schon beinahe Winter, als ich ins Feld kam.
    Im Anfang war ich, trotz der Sensationen der Schießerei, von allem ent-
    täuscht. Früher hatte ich viel darüber nachgedacht, warum so äußerst selten ein Mensch für ein Ideal zu leben vermöge. Jetzt sah ich, daß viele, ja alle Menschen fähig sind, für ein Ideal zu sterben. Nur durfte es kein persönliches, kein freies, kein gewähltes Ideal sein,
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