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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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einem Kameraden bei Nacht einen ganzen Sack voll Äpfel gestohlen, und nicht etwa gewöhnliche, sondern lauter Reinetten und Goldparmänen, die besten Sorten. Aus den Gefahren des Augenblicks flüchtete ich mich in diese Geschichte, das Erfinden und Erzählen war mir geläufig. Um nur nicht gleich wieder aufzuhören und vielleicht in Schlimmeres verwickelt zu werden, ließ ich meine ganze Kunst glänzen. Einer von uns, erzählte ich, hatte immer Schildwache stehen müssen, während der andre im Baum war und die Äpfel herunterwarf, und der Sack sei so schwer gewesen, daß wir ihn zuletzt wieder öffnen und die Hälfte zurücklassen mußten, aber wir kamen nach einer halben Stunde wieder und holten auch sie noch.
    Als ich fertig war, hoffte ich auf einigen Beifall, ich war zuletzt warm geworden und hatte mich am Fabulieren berauscht. Die beiden Kleinern schwiegen abwartend, Franz Kromer aber sah mich aus halb zugekniffenen Augen durchdringend an und fragte mit drohender Stimme: Ist das wahr?“
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    Jawohl“, sagte ich.
    ”Also wirklich und wahrhaftig?“
    ”Ja, wirklich und wahrhaftig“, beteuerte ich trotzig, während ich innerlich
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    vor Angst erstickte.
    Kannst du schwören?“
    ”
    Ich erschrak sehr, aber ich sagte sofort ja.

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    Also sag: Bei Gott und Seligkeit!“
    ”
    Ich sagte: Bei Gott und Seligkeit.“
    ”
    Na ja“, meinte er dann und wandte sich ab.
    ”
    Ich dachte, damit sei es gut, und war froh, als er sich bald erhob und den Rückweg einschlug. Als wir auf der Brücke waren, sagte ich schüchtern, ich müsse jetzt nach Hause.
    Das wird nicht so pressieren“, lachte Franz,
    wir haben ja den gleichen
    ”
    ”
    Weg.“
    Langsam schlenderte er weiter, und ich wagte nicht auszureißen, aber er ging wirklich den Weg gegen unser Haus. Als wir dort waren, als ich unsre Haustür sah und den dicken messingenen Drücker, die Sonne in den Fenstern und die Vorhänge im Zimmer meiner Mutter, da atmete ich tief auf. O Heimkehr! O
    gute, gesegnete Rückkunft nach Hause, ins Helle, in den Frieden!
    Als ich schnell die Tür geöffnet hatte und hineinschlüpfte, bereit, sie hinter mir zuzuschlagen, da drängte Franz Kromer sich mit hinein. Im kühlen, düsteren Fliesengang, der nur vom Hof her Licht bekam, stand er bei mir, hielt mich am Arm und sagte leise: Nicht so pressieren, du!“
    ”
    Erschrocken sah ich ihn an. Sein Griff um meinen Arm war fest wie Eisen.
    Ich überlegte, was er im Sinn haben könnte und ob er mich etwa mißhandeln wolle. Wenn ich jetzt schreien würde, dachte ich, laut und heftig schreien, ob dann wohl schnell genug jemand von droben dasein würde, um mich zu retten?
    Aber ich gab es auf.
    Was ist?“ fragte ich, was willst du?“
    ”
    ”
    Nicht viel. Ich muß dich bloß noch etwas fragen. Die andern brauchen das
    ”
    nicht zu hören.“
    So? ja, was soll ich dir noch sagen? Ich muß hinauf, weißt du.“
    ”Du weißt doch“, sagte Franz leise, wem der Obstgarten bei der Eckmühle
    ”
    ”
    gehört?“
    Nein, ich weiß nicht. Ich glaube, dem Müller.“
    ”
    Franz hatte den Arm um mich geschlungen und zog mich nun ganz dicht
    zu sich heran, daß ich ihm aus nächster Nähe ins Gesicht sehen mußte. Seine Augen waren böse, er lächelte schlimm, und sein Gesicht war voll Grausamkeit und Macht.
    Ja, mein junge, ich kann dir schon sagen, wem der Garten gehört. Ich
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    weiß schon lang, daß die Äpfel gestohlen sind, und ich weiß auch, daß der Mann gesagt hat, er gebe jedem zwei Mark, der ihm sagen kann, wer das Obst gestohlen hat.“
    Lieber Gott!“ rief ich. Aber du wirst ihm doch nichts sagen?“
    ”
    ”
    Ich fühlte, daß es unnütz sein würde, mich an sein Ehrgefühl zu wenden. Er war aus der andern Welt, für ihn war Verrat kein Verbrechen. Ich fühlte das 8
    genau. In diesen Sachen waren die Leute aus der anderen“ Welt nicht wie
    ”
    wir.
    Nichts sagen?““ lachte Kromer. Lieber Freund, meinst du denn, ich sei
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    ”
    ein Falschmünzer, daß ich mir selber Zweimarkstücke machen kann? Ich bin ein armer Kerl, ich habe keinen reichen Vater wie du, und wenn ich zwei Mark verdienen kann, muß ich sie verdienen. Vielleicht gibt er sogar mehr.“
    Er ließ mich plötzlich wieder los. Unsre Hausflur roch nicht mehr nach Frieden und Sicherheit, die Welt brach um mich zusammen. Er würde mich an-
    zeigen, ich war ein Verbrecher, man würde es dem Vater sagen, vielleicht würde sogar die Polizei kommen. Alle Schrecken des Chaos drohten mir, alles Häßliche und
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