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Dem Vaterland zuliebe

Dem Vaterland zuliebe

Titel: Dem Vaterland zuliebe
Autoren: Alexander Kent
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die Folge der englischen Blockade, eine wahre Ironie des Schicksals.
    Der kurze Frieden von Amiens hatte zur frühen Entlassung Averys geführt – im Austausch mit einem französischen Gefangenen. Der Frieden hatte den Streitenden nur Gelegenheit gegeben, ihre Wunden zu lecken und Schiffe und Verteidigungsanlagen zu reparieren. Bei seiner Rückkehr nach England hatte ihm niemand gratuliert oder ihn gar für seine frühere Tapferkeit ausgezeichnet. Statt dessen wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt. Zwar war er freigesprochen worden, die Anklage wegen Feigheit vor dem Feind und Gefährdung des Schiffes wurde fallengelassen. Aber weil die kleine
Jolie
ihre Flagge zu schnell vor dem Feind gestrichen hatte, war er, ohne Rücksicht auf seine Verwundung, gezeichnet und würde den Rest seines Marinelebens Leutnant bleiben.
    Dann, vor etwa achtzehn Monaten, hatte Bolitho ihn zu seinem Flaggoffizier gemacht. Ihm öffnete sich damit wieder eine Tür. Für Avery begann ein neues Leben, das er mit einem Helden Englands teilte. Bolithos Taten und sein Mut lebten in den Herzen der ganzen Nation.
    Er lächelte sich im Spiegel an und fand, daß er wieder jünger aussah. Einen Augenblick lang verschwanden sein üblicher bedrückter Ausdruck und die scharfen Falten um den Mund. Doch die grauen Strähnen in seinem dunkelbraunen Haar und die steife Schulter, Folge der Verwundung und der schlechten ärztlichen Versorgung, straften sein Lächeln Lügen.
    Er hörte jemanden an der Haustür und sah sich um: ein kahles, einfaches Zimmer ohne Stil. Es glich darin ganz dem Haus, dem Pastorenhaus, in dem sein Vater ihn erzogen hatte – konsequent, aber gütig. Averys Schwester lebte nach dem Tode ihres Vaters jetzt hier als Ehefrau eines Pfarrers. Den Vater hatte auf der Straße ein durchgehendes Pferd getötet.
    Er hängte seinen Degen ein und griff nach dem Hut.
    Die Goldlitze glänzte noch immer so hell wie vor achtzehn Monaten, als er in Falmouth Joshua Miller, den Schneider, aufgesucht hatte. Schon zwei Generationen lang hatten die Millers den Bolithos Uniformen geschneidert, doch niemand wußte mehr genau, wie alles begonnen hatte. Bolitho hatte ihn nach seiner Ernennung zum Flaggoffizier ausgestattet – aus Großzügigkeit. Sie war eines der Merkmale des Mannes, den er so gut kannte und doch immer noch nicht ganz verstand: Sein Charisma, dessen sich der Vizeadmiral offensichtlich selbst nicht bewußt war, ebenso wie der Beschützerinstinkt, den er bei jenen, die ihm besonders nahestanden, auslöste. Er nannte sie seine kleine Mannschaft, den schlottrigen Bootssteuerer Allday, den rundschultrigen Sekretär Yovell aus Devon und seinen Diener Ozzard, einen Mann ohne Vergangenheit.
    Er legte für seine Schwester Geld auf den Tisch. Ihr geiziger Ehemann gab ihr sicherlich viel zuwenig. Avery hatte ihn sehr früh am Morgen das Haus verlassen hören, entweder um jemandem zu helfen oder um einem Gesetzesbrecher aus der Gegend ein Gebet vorzusprechen, ehe der am Galgen sein Leben aushauchte. Er lächelte. Wenn sein Schwager wirklich ein Mann Gottes war, sollte der Herr auch besser für die kleine Mannschaft um den Pfarrer herum sorgen.
    Die Tür öffnete sich, und seine Schwester stand im Gang und sah ihn an, als bedauere sie seinen Aufbruch.
    Sie hatte dasselbe dunkle Haar wie Avery. Und ihre Augen glänzten katzengleich wie die ihres Bruders. Doch damit endete die Ähnlichkeit. Er mochte noch immer nicht glauben, daß sie erst sechsundzwanzig Jahre alt war, denn ihr Körper war von vielen Geburten erschöpft. Sie zog vier Kinder groß, zwei hatte sie während der Schwangerschaft verloren. Noch schwerer war es, sie sich als junges Mädchen vorzustellen. Wie schön sie damals gewesen war!
    »Der Fuhrmann ist hier«, sagte sie. »Er wird deine Seekiste zur Kutsche ins King's Arms bringen, George.« Sie starrte ihn an, als er sie an sich zog und umarmte.
    »Ich weiß, daß du abreisen mußt, George, aber es war so schön, dich hier zu haben. Mit dir zu reden und überhaupt …« Wenn sie bedrückt war wie jetzt, klang ihr Dorsetdialekt sehr durch.
    Unten schrien zwei Kinder, aber sie schien sie nicht zu hören. Plötzlich sagte sie: »Ich wünschte, ich hätte Lady Catherine gesehen, wie du!«
    Avery drückte sie enger an sich. Sie hatte sich oft bei ihm nach Catherine erkundigt, was sie tat, wie sie mit ihm sprach, wie sie sich kleidete. Er strich über das verblichene Kleid, das seine Schwester während der ganzen Zeit seines Besuchs
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