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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story
Autoren: Swati Kaushal
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sie in letzter Zeit wie verrückt gearbeitet hatte und durch die Weltgeschichte geflogen war.
    »Hier hält uns doch nichts, oder?«
    Durch das Fenster blickte ich in den kahlen Garten, wo ein Roter Kardinal auf einem tief hängenden Birkenast saß. Er war klein, rot und süß, ein wunderbarer
Vogel. Einer alten Gewohnheit folgend, registrierte ich, dass es der dritte Rote Kardinal in diesem Jahr war.
    Papa hatte mich in die Mathematik der Roten Kardinäle eingeführt, als ich fünf Jahre alt war. Wir addierten Kardinäle, subtrahierten Kardinäle, erstellten Tabellen über Kardinäle und errechneten Kardinalswahrscheinlichkeiten und 3D-Koordinaten von Kardinälen. Elf Jahre lang beobachteten wir die Kardinäle intensiv. Wir arbeiteten wie richtige Wissenschaftler in unserem Garten, mein Vater und ich. Überhaupt machten wir viel gemeinsam.
    »Nein«, antwortete ich Ma, »hier hält uns wirklich nichts.«
    »Was meinst du, Ann, sollen wir es tun?«
    Letztlich gab ihr Lächeln den Ausschlag. Es war zugleich ein neues strahlendes, hoffnungsvolles Lächeln und ihr altes, liebevolles Lächeln, und es verlangte meine Zustimmung.
    Um sieben Uhr abends unserer Zeit rief sie Tante Tara an – in Delhi war es halb sechs Uhr in der Früh. Tante Tara war noch ganz verschlafen, aber schon bald schallte ihr durchdringendes Kreischen durch den Hörer.
    »Ja, wir wollen wirklich nach Delhi ziehen«, kreischte meine Mutter zurück. »Wir wollen dort essen, atmen, ein Haus mieten, ein Auto kaufen, Rechnungen bezahlen und vor allem aus unserem festgefahrenen Leben hier wegkommen!«
    Unser festgefahrenes Leben. Es war makellos und duftete gut. Bereits am folgenden Morgen kam ein Herr vom Maklerbüro, um den Wert unseres Hauses zu schätzen.
Wir begannen, unsere Sachen auszusortieren. Ma legte ein ungeheures Tempo an den Tag, wenn sie motiviert war.
    »Ja, Annie ist auch schon ganz aufgeregt. Nicht wahr, Liebling?«
    Ich riss die Augen auf und hüpfte auf dem Sofa auf-und ab, um meine Aufregung zu demonstrieren. Dann ging ich hinaus.
    Der Garten war an diesem Abend in funkelndes Sternenlicht getaucht. »16 ist ein tolles Alter, oder?«, scherzte Ma mit Tante Tara am Telefon. Glockenhell drang ihre Stimme durch die Terrassentür.
    16, dachte ich. Wirklich toll. So toll, dass Jaime mit 16 die Pille nahm und in einen Idioten verliebt war. So toll, dass Jessica hungerte, um dünn genug für das Cheerleaderteam zu werden. Und ich …
    Ich blickte zu den Sternen und fragte mich, wie sich wohl das restliche Leben anfühlen würde, wenn mir schon 16 so groß und unendlich vorkam. 17. 18. 19. 20 und 30 und 50 und 75 und 100. Vielleicht würde es sich aber auch nach gar nichts anfühlen. Vielleicht endete das Leben, wie die Sterne, am Ende in großen schwarzen Löchern.
    »In der ersten Juniwoche kommen wir an«, konnte ich Mas Stimme durch die Tür hören.
    Ich richtete mich auf. In der ersten Juniwoche wurde normalerweise der Rasen gemäht, die Büsche wurden geschnitten, im Garten summten dicke Bienen und die Bäume standen in frischem Grün.
    Wobei das eigentlich keine Rolle spielte.

    Im Juni würde ich das Fahrradturnier von Hyland Park verpassen, das Schwimmtraining, Jaimes Auftritt mit ihrem Jazzorchester und die Abschlussprüfungen zum Schuljahresende.
    Aber das, dachte ich, spielte wohl auch keine Rolle.
    Im Juni würden die Stauden, die Papa in der Ecke an der Mauer gepflanzt hatte, hüfthoch stehen. Sie würden jemand anderem gehören.
    Ich fragte mich, ob das vielleicht eine Rolle spielte. Ich überlegte, ob man sie an den Wurzeln herausziehen, in Kisten packen und mit nach Indien nehmen könnte.

Drei
    Eine Frage: Kann man grelle rote Strähnen schön finden?
    Ma glaubt anscheinend, das ginge. Als ich verzweifelt das Wesen im Spiegel anstarrte, sagte sie, anfangs hasse man jeden neuen Haarschnitt. Das war vor einer Woche. Wir waren im Friseursalon Rocco im Einkaufszentrum gewesen.
    »In drei Tagen wirst du es lieben«, sagte sie. Ich antwortete, ein Kastanienton wäre dezenter gewesen.
    »Dezent ist langweilig. Aber das hier …« Sie streicht über meinen Kopf. »Das ist so schön auffällig.«
    Ich blickte in den Spiegel. Meiner Meinung nach sah ich aus, als sei ich verletzt. Als hätte mir jemand einen Hockeyschläger über den Kopf gezogen. Als bräuchte ich Monate, um mich von dem Schlag zu erholen.
    »Die Frisur passt zu dir!«

    Ich streiche die roten Strähnen hinter meinen Ohren glatt, als das Taxi endlich vor dem
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