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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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Foto von uns in unserer Wintermontur aufnehmen. Wir sehen wie richtige Forscher aus. Algie ist rund wie ein Eskimo; Hugo und ich sind beide dunkelhaarig und dünn, als ob wir über Monate von kargen Rationen gelebt hätten, und Gus könnte Skandinavier sein, vielleicht Amundsens jüngerer Bruder.
    Aber erst der Kauf der übrigen Ausrüstung machte mir richtig bewusst, was uns bevorsteht. Zelte, Schlafsäcke, Munition, Rentierfelle (als Unterlagen offensichtlich). Vor allem aber eine gewaltige Menge Paraffinlampen, Stirnlampen und Taschenlampen. Es ist jetzt, bei diesem endlosen Tageslicht, schwer zu glauben, doch es wird eine Zeit kommen, da es immer dunkel ist. Beim Gedanken daran habe ich ein komisches Flattern im Magen. In gewisser Weise kann ich es nicht erwarten. Ich will sehen, ob ich es aushalte.
    Wir werden in Gruhuken keinesfalls ein primitives Leben führen. Wir haben eine Kiste mit Büchern und ein Grammophon und sogar ein Royal-Doulton-Porzellanservice, das Algies Mama gestiftet hat. Manchmal wünsche ich mir, es wäre nicht ganz so einfach. Es ist, als würden wir spielen, in der Arktis zu sein. Als wäre es nicht Wirklichkeit.
    Apropos Wirklichkeit, morgen werden wir unser Schiff, die Isbjørn , und den Kapitän Mr. Eriksson kennenlernen. Er ist ein abgehärteter Seemann und Pelztierjäger, der schon ein Dutzend Mal in Spitzbergen überwintert hat. Ich bin noch nie einem Pelztierjäger begegnet, aber ich habe von ihnen gelesen, vor allem bei Jack London. Sie sind die Wirklichkeit. Gegen die Elemente kämpfen, Robben und Eisbären schießen. In Norwegen werden sie von den Leuten als «die wahren Jäger» verehrt. Ich finde das alles ein bisschen beklemmend.
    In den Büchern heißt es, die goldene Zeit der Pelztierjagd war jene, als Spitzbergen noch Niemandsland war. Ich kann das immer noch nicht ganz fassen. Die Vorstellung, dass eine nicht weit von Europa entfernte Wildnis bis vor wenigen Jahren niemandem gehörte: dass jemand buchstäblich sein Stück Land abstecken konnte, wo es ihm gefiel, ohne eine Menschenseele um Erlaubnis zu ersuchen. Es hört sich großartig an. Aber das nahm 1925 ein Ende, als die Inseln ein Teil von Norwegen wurden.
    Die Geschichten, die man aus jener Zeit erzählt! Von Bären auf Raubzug. Tödlichen Unfällen auf dem Eis. Männern, die wegen der Dunkelheit und Einsamkeit den Verstand verloren, sich gegenseitig ermordet, sich selbst erschossen haben.
    Es gibt sogar einen Namen dafür. Man nennt es rar . Armstrong tut es als «Seltsamkeit» ab, die manche überkommt, wenn sie in der Arktis überwintern. Er sagt, es handelt sich dabei schlicht um ein paar merkwürdige Eigenarten, etwa das Horten von Streichhölzern oder das zwanghafte Überprüfen von Vorräten. Aber ich weiß aus den Büchern, dass es schlimmer ist.
    Und sie erzählen von etwas namens Ishavet kaller , das eine extreme Form von rar zu sein scheint. Es bedeutet «das Eismeer ruft». Dann passiert es, dass ein Pelztierjäger ohne Grund von einer Klippe spaziert.
    Vor nicht langer Zeit hat man auf der Barents-Insel vier Männer gefunden, die in ihrer Hütte verhungert waren, obwohl sie haufenweise Munition und funktionstüchtige Gewehre hatten. Der Mann, der das Buch geschrieben hat, erklärt, dass sie zu große Angst hatten, die Hütte zu verlassen – aus Entsetzen vor der Ödnis draußen . Das ergibt eine gute Geschichte. Aber wie konnte er es überhaupt wissen?
    Rar. Ishavet kaller. Hüttenfieber. Nervliche Belastung. Ich kann verstehen, warum so etwas in früheren Zeiten geschah, als die Männer vollkommen abgeschnitten waren, aber das ist heute anders. Wir haben ein Grammophon und das Funkgerät.
    Und vielleicht ist es bei alledem so am besten. Ich meine, verglichen mit den damaligen Pelztierjägern sind wir Amateure. Algie ist als Einziger schon einmal in der Arktis gewesen, und das waren nur sechs Wochen zur Jagd in Grönland. Es hat keinen Sinn, dass wir uns mehr zumuten, als wir verkraften können.
    27. Juli, Isbjørn, irgendwo auf der norwegischen See
    Ich schreibe dies in meiner Kabine. Meiner Kabine. O.k., sie stinkt nach Robbenspeck und ist nur wenig größer als ein Sarg. Und wennschon. Die Isbjørn ist schön, ein flottes kleines Segelschiff, ganz so, wie ich mir das Schiff in Moby Dick vorstelle, nur zusätzlich mit einem 50-PS-Dieselmotor ausgestattet, der schmierigen schwarzen Dampf ausstößt. Der stets akkurate Hugo sagt, sie ist eine 90-Fuß-Schaluppe für den Robbenfang (was immer das
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