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Deathbook Episode 1. Rowohlt E-Book Plus

Deathbook Episode 1. Rowohlt E-Book Plus

Titel: Deathbook Episode 1. Rowohlt E-Book Plus
Autoren: Andreas Winkelmann
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sich seit Tagen nur um diese eine Frage.
    Frau Pfeifenberger musterte mich. Es war ein wenig unangenehm, so direkt angesehen zu werden, aber ich hielt ihrem Blick stand. Schließlich schüttelte sie mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung den Kopf.
    «Nein», sagte sie leise. Ihre Stimme klang jetzt tränenerstickt. «Ich bilde mir ein, über eine gute Menschenkenntnis zu verfügen, und ich kann das einfach nicht glauben.»
    Zwei weitere Personen schoben sich in unsere Bankreihe, wir mussten aufrücken. Die Lehrerin kam mir noch näher, unsere Oberschenkel lagen nun aneinander. Ich konnte ihre Körperwärme spüren. Jemand extrovertierterer als ich hätte ihr in diesem Moment vielleicht einen Arm um die Schultern gelegt, um sie zu trösten. Ich tat es nicht. Wie immer in solchen Situationen zog ich mich zurück in meinen Schildkrötenpanzer.
    «Sie … Ihnen stand Kathi doch nahe», sagte Frau Pfeifenberger und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. «Das habe ich gespürt, als Kathi wegen des Zukunftstages gefragt hat.»
    Sie sprach es nicht aus, aber es war auch so klar, was sie wissen wollte: Haben Sie nichts bemerkt?
    Ich schüttelte den Kopf. «Schon … ja … aber da war nichts … ich habe keine Veränderung bemerkt. Zwar hatte ich sie zwei oder drei Wochen nicht gesehen, aber so etwas kommt ja nicht über Nacht, nicht einmal bei Teenagern, oder?»
    Die Lehrerin schüttelte den Kopf.
    «Nein, nicht einmal bei Teenagern. Ich … wir sind alle fassungslos … das ist so … so unbegreiflich.»
    «Und Kathis Freundinnen? Was sagen die dazu?», wollte ich wissen.
    «Nichts bisher. Ich habe in der Klasse versucht, ein Gespräch darüber zu führen, aber der Schock ist einfach zu groß. Nur Theresa, Kathis beste Freundin, hat so eine Bemerkung fallen lassen.»
    «Was für eine Bemerkung», fragte ich viel zu laut und fing mir den bösen Blick eines Mannes in der Bankreihe vor mir ein. Viel fehlte nicht, und ich hätte ihm den Stinkefinger gezeigt.
    Astrid Pfeifenberger wollte antworten, doch in diesem Moment begannen die Glocken zu läuten, und der Pastor betrat die Kapelle. Ihm folgten Iris und Heiko, Kathis Eltern. Sie stützten sich gegenseitig, fanden aber beide nicht die Kraft aufzusehen. Zusammen mit Kathis Großeltern nahmen sie in der ersten Bankreihe Platz. Auch für mich war dort ein Platz reserviert, doch hier hinten fühlte ich mich wohler. Ich glaubte, Iris aufschluchzen zu hören. Sofort zog sich mein Magen zusammen, und mein Hals wurde eng.
    Die Trauerandacht begann.

    «Angeblich hat Kathi sich für den Tod interessiert.»
    Astrid Pfeifenberger stand mit mir auf der anderen Seite der Friedhofsmauer im Schatten einer großen Rotbuche. Der Strom der Trauergäste zog in mehr als zwanzig Metern Entfernung in Richtung Parkplatz. Ein Wagen nach dem anderen fädelte sich auf die Bundesstraße ein und verschwand. Die meisten würden sich im Gasthaus wiedertreffen, zum Leichenschmaus. Ich fand die Tradition, nach einer Beerdigung Kaffee und Butterkuchen zu sich zu nehmen, einfach geschmacklos und würde mich dort nicht blicken lassen.
    «Für den Tod», wiederholte ich. «Wer sagt das?»
    «Ihre beste Freundin, Theresa.»
    «Und wie soll ich mir das vorstellen?»
    Astrid Pfeifenberger schüttelte den Kopf. «Ich weiß es nicht. Theresa wollte sich nicht weiter dazu äußern. Sie war vollkommen aufgelöst. Ich hatte den Eindruck, sie fürchte sich vor etwas. Aber ich kann mich auch getäuscht haben. Mir ging es ja selbst nicht besonders gut.»
    Ich nickte. Ja, das konnte ich gut verstehen. Seit ich von Kathis Tod erfahren hatte, lebte ich in einem Kokon, der die beschissen banalen Dinge des Alltags von mir fernhielt und mein Denken beträchtlich einschränkte. Es war fast so, als wäre eine Hälfte meines Ichs abgeschaltet worden. Ich lief sozusagen im Notfallmodus. Und wenn es Frau Pfeifenberger ähnlich erging, konnte sie sich sehr wohl getäuscht haben.
    Aber ich war jetzt neugierig geworden. Ich beobachtete die abfahrenden Autos und überlegte mir die nächste Frage.
    «Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich in die Schule komme und mit ein paar von Kathis Klassenkameradinnen spreche?»
    Die Lehrerin zog die Augenbrauen zusammen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihr Lidschatten verlaufen war. Sie musste während der Zeremonie am Grab geweint haben.
    «Wozu?»
    «Weil ich wissen will, was passiert ist. Kein Mensch kann mir erzählen, dass Kathi den Freitod gewählt hat. Das stimmt einfach nicht.»
    Da
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