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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir
Autoren: Y Woon
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Abend hatte ich keine Zeit für einen Streit. Ich schielte auf die Uhr. Es war acht und ich musste hier raus. Die Teller, das Besteck, die Küchenrolleüber der Spüle, das Glas mit Kleingeld auf dem Sims – alles erinnerte mich an meine Eltern und wie sie umgekommen waren. Doch wenn ich gehen wollte, musste ich es bald tun, denn zum ersten Mal in meinem Leben musste ich zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Zehn Uhr.
    »Heute Abend geh ich aus«, murmelte ich.
    Dustin stand in seinem altmodischen Anzug in der Ecke, die Hände hinterm Rücken gefaltet, und starrte Löcher in die Decke, als hörte er uns gar nicht zu. Ich betrachtete ihn mit Unbehagen.
    Mein Großvater legte die Gabel ab. »Sprich bitte deutlicher.«
    Ich wiederholte meine Worte, diesmal lauter und ärgerlicher.
    »Besser«, sagte er und sah auf die Uhr. »Allerdings ist es schon spät. Bleib heute lieber zu Hause.«
    Draußen senkte sich die Sonne gerade auf die Nachbarhäuser hinab. »Aber draußen ist es noch hell«, protestierte ich.
    »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass du nachts alleine draußen bist. Es ist gefährlich.«
    »Ich bin nicht allein. Annie ist dabei«, improvisierte ich.
    »Ich möchte es lieber nicht«, sagte er bestimmt.
    »Dann sollte ich wahrscheinlich nach oben gehen, damit ich den Rest meines Lebens allein in meinem Zimmer rumhocken kann, weil das überhaupt am ungefährlichsten ist.« Ich nahm meinen Teller und erhob mich.
    Dustin machte Anstalten, mein Gedeck abzuräumen, aber mein Großvater winkte ihn fort. Ich drehte ihnen denRücken zu und trug meinen Teller zur Spüle, fast schon die Siegerin.
    »Renée«, rief er mir hinterher, »darf ich dir eine Frage stellen?«
    Ich ignorierte ihn und drehte den Wasserhahn auf.
    »Wie hast du deine Eltern gefunden?«
    Das erwischte mich unvorbereitet. Der Schwamm glitt mir aus der Hand und rutschte ins Spülwasser.
    »Das hab ich dir schon erzählt.«
    »Ja, das hast du«, sagte er leise. »Aber ich glaube, da ist noch etwas.«
    Ich antwortete nicht.
    »Ich weiß, dass wir nicht über deine Eltern gesprochen haben; ich wollte, dass du ohne meine Einmischung um sie trauern kannst.«
    Die Küche war eng – eine winzige Kammer direkt neben dem Esszimmer – und ich fühlte, wie der Blick meines Großvaters nebenan auf mir ruhte.
    »Ich mag in deinem Leben bisher kaum in Erscheinung getreten sein, aber ich weiß, wie schwierig es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren. Deine Mutter Lydia war meine Tochter. Ihr Tod war kein Unfall. Das wissen wir beide. Schließlich warst du diejenige, die sie gefunden hat.« Er hielt inne. »Bitte, tu einem alten Mann den Gefallen.«
    Das waren die ersten vernünftigen Worte, die er seit seinem Einzug geäußert hatte. Ich drehte mich um und blickte ihm in die Augen. »Auf der Rückfahrt vom Strand hab ich Annie gesagt, dass sie den Prairie Creek Drive statt der B 101 nehmen soll.«
    »Wieso?«
    »Weil es mir schneller vorkam«, sagte ich, ohne den wahren Grund zu verraten: dass es mich regelrecht dorthin gezogen hatte.
    »Was passierte dann?«
    »Ich hab ihr Auto am Straßenrand gesehen. Wir haben angehalten und ich bin in den Wald rein. Annie hat auf mich gewartet.«
    »Und weiter?«
    Bilder aus dem Wald blitzten vor meinem geistigen Auge auf. »Ich bin einfach losgerannt. Ich – ich wusste nicht, wohin ich wollte; ich wusste nur, dass ich tiefer reinmuss.«
    »Und dann?«
    »Und dann hab ich die Münzen gesehen.«
    Der Wasserhahn war immer noch aufgedreht. Ich sah zu, wie das Wasser über die Teller lief.
    Die Stimme meines Großvaters durchbrach die Stille. »Und was geschah dann?«, fragte er milde.
    Ich drehte mich zu ihm. »Das war’s! Dann hab ich sie gefunden. Sie waren tot. Willst du mich die ganze Nacht noch mal durchmachen lassen? Du weißt, was passiert ist. Du hast den Polizeibericht gelesen. Ich hab denen alles erzählt.«
    Ich drehte mich weg und wischte mir die Augen.
    »Es tut mir leid«, sagte er sanft. »Ich weiß, wie schwierig es für dich ist, ohne deine Eltern auskommen zu müssen und mich hier zu haben. Es ist seltsam und unerwartet, dass das Schicksal uns nach so langer Zeit wieder zusammenführt. Aber denk einmal nach. Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass du zufällig am Auto deines Vatersvorbeikommst und dann sogar noch die Leichen deiner Eltern entdeckst, die eine Meile weiter nördlich davon liegen? Der Redwood-Wald ist über dreihundert Quadratmeilen groß und doch findest du sie innerhalb einer
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