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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben
Autoren: James White
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ließ Ross’ Hände zittern, als er weiterblätterte. Auf vier Seiten folgte das Protokoll einer Sitzung unter der Leitung von Dr. Hanson. 6. Juli 2111, las Ross. Zur Diskussion standen neue Verfahren zur Behandlung von Patienten während ihres Tiefschlafs. Die einzigen Bedenken bestanden darin, daß diese Heilmethode äußerst langwierig war. Es konnte Jahrzehnte dauern, bis die Patienten gesund waren, und außer Dr. Hanson, der in seiner Abteilung geboren worden war, befanden sich alle anderen Ärzte in den Sechzigern. Sie würden längst tot sein, wenn einige der Kranken erst in fünfzig Jahren wiederbelebt werden mußten.
    Der einzige Ausweg bestand darin, daß sich auch die Ärzte einfrieren ließen, bis zum vorausberechneten Zeitpunkt der Wiederbelebung der einzelnen Patienten. Dennoch mußte mindestens einer von ihnen wach bleiben, um die Funktion der Lebenserhaltungssysteme zu kontrollieren und die medizinischen Forschungen voranzutreiben, so daß eines fernen Tages auch der letzte der noch unheilbaren Patienten von seiner Krankheit befreit werden konnte. Man schlug einen Zeitplan vor, nach dem jeder Arzt zwanzig Jahre schlafen und zwei Jahre Dienst tun sollte. Als Jüngster bat Hanson darum, seine Wachperiode auf fünf Jahre zu verlängern, zumal er an einem Verfahren arbeitete, mit dem die Herzkrankheit seines Vorgängers als Direktor eventuell geheilt werden könnte. Die Ärzte stimmten zu. Ein gesunder Dr. Pellew bedeutete eine unersetzliche Hilfe für sie. Schließlich wurden psychologische Probleme diskutiert.
    Ross schlug die Mappe zu und schüttelte den Kopf. Er kam sich vor wie ein Fremder, der von Grund auf lernen mußte. Die Mappe war ein Geschichtsbuch. Wenn er auch vieles noch nicht verstanden hatte, so schälte sich doch allmählich ein vages Bild dessen heraus, was im Lauf der Jahrhunderte geschehen war.
    Ross bewunderte diese Männer, die den Wettlauf gegen die Zeit aufgenommen hatten, und zumindest Hanson mußte Erfolg gehabt haben, denn 162 Jahre nach dem Beschluß der Ärzte hatte Dr. Pellew eines der Formblätter unterzeichnet.
    Also gab es doch noch Hoffnung. Über das Schicksal der Schwestern war nichts im Bericht enthalten, aber Ross nahm an, daß man auch sie eingefroren hatte. Eine von ihnen konnte Alice sein …
    Plötzlich ging das Licht aus.
    Ross erschrak. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Der Wiederbelebte zitterte und kämpfte verzweifelt gegen die aufsteigende Panik an. Dabei wußte er nicht einmal, weshalb er Angst hatte. Er versuchte sich einzureden, daß irgend jemand die Lichter gelöscht hatte, um ihn schlafen zu lassen. Doch die Dunkelheit war vollkommen, und Ross fühlte sich wie in einem Gefängnis – lebend begraben, acht Kilometer unter der Erdoberfläche. Die Tür zum Korridor stand noch offen, weil Ross gehofft hatte, irgend jemand würde vorbeikommen und auf ihn aufmerksam werden. Auch draußen war es finster. Die Mappe fiel zu Boden, und Ross lag wie erstarrt im Bett, das Hämmern des Blutes in den Schläfen und die Zähne fest aufeinandergebissen, damit sie nicht klapperten.
    Dann plötzlich drang ein Geräusch vom Korridor an seine Ohren.
    Es war ein leises, monotones Rumpeln, in das sich so etwas wie Seufzen mischte. Genau vor der Tür verstummte es kurz, um dann lauter zu werden, als es näherkam. Ross kniff die Augen zusammen und versuchte vergeblich, im Dunkeln etwas zu erkennen. Wer immer sich in seiner Kammer zu schaffen machte, erreichte jetzt die Mitte des Raumes. Ross hörte, wie etwas abgesetzt oder aufgehoben wurde. Der oder die Unbekannte konnte zweifellos im Dunkeln sehen – auch ihn.
    »Wer … wer ist da?« fragte Ross.
    »Die Krankenschwester«, antwortete eine unpersönliche, aber unverkennbar weibliche Stimme. »Es geht Ihnen gut, Mr. Ross. Schlafen Sie nun.«
    Wieder das Rumpeln. Es entfernte sich, ohne daß die »Schwester« ans Bett gekommen war. Ross hörte, wie die Tür, die zur Rampe führte, auf glitt und sich wieder schloß. Fast im gleichen Augenblick flammte die Beleuchtung wieder auf. Ross wurde geblendet. Er schloß die Augen und öffnete sie vorsichtig, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatten. Vier der schon bekannten Konservenbüchsen standen neben Beethoven. Dies war das einzige, das sich im Raum verändert hatte. Trotz der Erschöpfung konnte Ross klar und logisch denken, und nun glaubte er, einen Sinn in dem verrückten Puzzlespiel zu erkennen.
    Die bemalte Büste, seine Geschichts-Lektion, eine
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