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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben
Autoren: James White
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Schmerzen hinderten ihn daran. Jetzt war es wichtig, daß er wieder lernte, sich zu bewegen. Wieso war der Physiotherapeut noch nicht erschienen? Ross kroch weiter, fühlte, wie seine Glieder beweglicher wurden, und grinste still in sich hinein. Er versuchte, nicht an Alice zu denken. Vielleicht war sie mittlerweile eine alte Frau. Nichts sollte die Freude darüber trüben, daß er nicht länger ein Todgeweihter war.
    Nach einiger Zeit schaffte er es, sich aufzurichten. Mit einer Hand stützte er sich an der Wand ab und öffnete den Wandschrank, in dem sich seine Kleidung befand. Eisige Luft schlug ihm entgegen und kondensierte auf den Kleidern. Ross ließ den Schrank offen, damit die warme Luft von außen sie trocknen konnte. Er brauchte etwas zum Anziehen – nicht, weil er prüde war, aber jeden Augenblick konnte Alice hereinkommen, und er wollte nicht, daß sie ihn in seinem erbärmlichen Zustand nackt sah.
    Ross ließ sich auf das Bett fallen. Allmählich schwand die Euphorie und machte der Enttäuschung darüber Platz, daß man sich nicht um ihn kümmerte. Wieso kam niemand, um ihm zur Heilung zu gratulieren oder ihn zu untersuchen? Früher hatte es Ärzte, Krankenschwestern und Psychotherapeuten gegeben, die einem Patienten das Zurechtfinden in der neuen Umgebung erleichterten.
    Eine Beethoven-Büste und stupide Ratschläge aus einem Lautsprecher – das war alles. Es mußte zu tiefgreifenden Veränderungen im Hospital gekommen sein. Gab es nicht mehr genügend Personal?
    Ross berührte den Türöffner, ohne zu wissen, wie er bis dorthin gekommen war. Er spürte nur den Schmerz in den Beinen, die er viel zu schnell bewegt hatte. Die Tür glitt zur Seite. Ross taumelte auf den Korridor hinaus. Er sah sich um und wußte sofort, daß er sich in einem Teil des Hospitals befand, den er nicht kannte, vielleicht in einem Trakt, der nach seinem Einfrieren gebaut worden war. Der Korridor war kurz, mit drei Türen auf jeder Seite, und vollkommen sauber – fast steril. In einer Richtung endete er in einer Sackgasse, in der anderen an einer halbtransparenten Tür, hinter der eine Rampe zu erkennen war. Vor der Tür standen ein Tisch und ein Stuhl. Eine grüne Mappe lag auf dem Tisch.
    Ross stieß sich von der Wand ab und öffnete die seiner Kammer gegenüberliegende Tür. Es war dunkel, doch das vom Korridor her einfallende Licht zeigte ein bezogenes Bett und einen Tiefschlafbehälter. Er war leer. Ross begann, im Zickzack durch den Korridor zu laufen, und öffnete alle Türen. Die Räume waren dunkel und leer. Doch jeder einzelne war völlig sauber. Kein Staub und kein Schmutz, also mußte es zumindest jemand geben, der hier regelmäßig reinigte. Allmählich steigerte sich Ross in eine Wut hinein. Es war höchste Zeit, daß jemand auftauchte und ihn unterrichtete.
    Er schleppte sich zum Tisch am Ende des Korridors und lachte rauh, als er seinen Namen auf der Mappe las. Man machte es sich sehr einfach. Zuerst sollte er sich selbst ernähren und trainieren und nun auch noch seine Krankengeschichte lesen. Er fluchte. Ross zerbrach das Siegel, mit dem die Mappe verschlossen worden war, mit den Fingernägeln. Sie waren gewachsen, obwohl alle Körperfunktionen im Zustand des Kälteschlafs eingestellt werden sollten. Er begann zu blättern. Sieben grüne 508-Formblätter, dazu zehn beschriftete Bögen unterschiedlicher Größe. Ross blätterte zurück und las von Anfang an.
    Das erste Formblatt kannte er. Er war dabeigewesen, als es ausgefüllt worden war. Es war mit dem 29. September 2057 datiert und enthielt seinen Namen und die Umstände, die zu seiner Einfrierung geführt hatten. Dr. Pellew und sein Assistent hatten unterschrieben, wie auch beim nächsten Blatt vom 4. Juni 2076, auf dem vermerkt war, daß der Patient aus dem Tiefschlaf erweckt worden und einer neuen Behandlungsmethode unterzogen worden war – ohne Erfolg. Auf dem dritten Blatt las Ross das Datum 1. Mai 2133, und diesmal stammte die Unterschrift von einem Dr. Hanson. Wieder hatte man ihn für sechs Wochen aus dem Tiefschlaf gerissen und erfolglos behandelt.
     
    1. Mai 2133!
    Alice konnte also nicht mehr am Leben sein, dachte Ross, oder sie war eine uralte Frau. Sechsundsiebzig Jahre waren seit seiner Einfrierung vergangen, und Alice war damals 22 Jahre alt gewesen. Ross spürte einen Kloß im Hals und versuchte, diese Gedanken zu verscheuchen. Er las die Krankheitsberichte und stellte fest, daß er vom medizinischen Fortschritt weit überholt worden war.
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