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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens
Autoren: Tatjana Stepanova
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Sängerin Russlands. Und dafür wirst du mir einen Sohn schenken.«
    Die berühmteste Sängerin Russlands wurde Aurora nicht. Aber sie schenkte Gussarow zwei Söhne. Auf den ersten wartete er noch ungeduldig und schien ihn sogar zu lieben, aber der zweite interessierte ihn schon nicht mehr. Und ihr selbst gegenüber . . .
    »Ich habe dich satt! Sieh dich vor!«
    Wie böse seine Stimme geklungen hatte, gestern am Telefon . . .
    Dabei hatte es doch eine Zeit gegeben, in der sie gern zusammen gewesen waren. Im ersten Jahr ihrer Ehe hatten sie eine Reise nach Marokko gemacht. Russen fahren selten dorthin, und Gussarow war der Meinung, Marokko sei ein origineller Werbegag. Wenn Aurora den Journalisten beim Interview erzählen konnte, sie habe den Sommer am Strand von Essaouira verbracht, sei im Jeep durch die Sahara gefahren und habe Tanger und Marrakesch besucht – das würde Eindruck machen, schick und aufregend klingen.
    Solche Dinge tat Gussarow öfters – fürs Image, als Publicity-Gag. Aber in Marokko war es wirklich schön gewesen.
    Ihr Hotel im orientalischen Kolonialstil war gemütlich und ruhig. Aurora stand schon bei Morgengrauen auf und öffnete die gläserne Schiebetür, damit sich die kühle Luft der Klimaanlage mit dem warmen morgendlichen Atem der Orangenbäume, die im Innenhof wuchsen, vermischen konnte. Zwischen Rosenbüschen plätscherte ein Springbrunnen. Aurora betrachtete ihren schlafenden Mann und überließ sich ihren Erinnerungen: an seine Berührungen, die sie noch lange, sehr lange auf ihrer Haut spürte, seine Lippen, die über ihren Körper streiften und nach Lust suchten. Im Bett vergaßen sie alles andere – vor allem die Zeit. Sie kamen zu spät zu den Exkursionen, gingen nicht an den Strand. In Marokko war sie schwanger geworden.
    »Mit keiner anderen Frau war ich je so glücklich wie mit dir«, hatte ihr Mann vor acht Jahren zu ihr gesagt.
    Aber gestern am Telefon . . . Vor einem Monat waren Gussarow und sie offiziell geschieden worden. Eigentlich war schon alles gesagt. Aurora glaubte, ab jetzt würden sie nur noch über ihre Anwälte miteinander verkehren. Gussarow hatte erklärt, er habe ausreichend Mittel, um die Kinder auch weiterhin mit allem Nötigen zu versorgen.
    Gestern hatte sie ein Abendessen für ihre Freunde gegeben, um nicht allein zu sein, um den endgültigen Schlussstrich, die Grenze, die ihre Vergangenheit von der Zukunft trennte, zu feiern, ihre Freiheit, die sie in den letzten Jahren so herbeigesehnt hatte, seitdem ihr bewusst geworden war, dass ihre Ehe sich in eine qualvolle Tortur verwandelt hatte.
    Und gestern hatte ihr Anwalt sich mit seinem Anwalt getroffen, um über die Unterhaltszahlungen für die Kinder zu sprechen. Von diesen Verhandlungen hatte Aurora eigentlich keine unangenehmen Überraschungen mehr erwartet – und dann plötzlich . . .
    »Kannst du den Hals nicht voll kriegen, du gieriges Biest!« Mein Gott, wie seine Stimme geklungen hatte . . . »Das wirst du noch bereuen, sieh dich vor!«
    Ein Knauser und Geizkragen war Gussarow schon immer gewesen. Die ganzen acht Jahre hatte Aurora trotz der Einnahmen aus ihren Konzerten kaum etwas besessen. Gussarow gehörten sowohl das Haus auf dem Land wie die beiden Wohnungen und das Aufnahmestudio in Moskau. Erst in den letzten Jahren hatte Aurora begonnen, Geld für sich und die Kinder zurückzulegen. Auch das hätte sie während der Wirtschaftskrise wieder verloren, wäre nicht Maria gewesen.
    Das Telefon klingelte. Aurora tastete auf dem Boden neben dem Bett nach dem Hörer.
    »Bist du’s, Aurora? Hallo.«
    Das war die Stimme von Maria Potechina. Sie klang ein wenig heiser – vom Schlaf vermutlich oder von der ersten Zigarette des Tages, die Maria gewöhnlich zu einer Tasse starkem brasilianischem Kaffee rauchte.
    »Na, wie geht’s? Wie hast du geschlafen?«
    »Gut.« Aurora seufzte erleichtert auf – Gott sei Dank, es war nicht ihr Mann. »Wie ein Baby, süß und fest. Ich danke dir, Mariascha.«
    »Wofür?«
    »Für den gestrigen Abend.«
    »Aber das hast du doch alles selber organisiert, Kindchen, du wolltest doch feiern. Ich habe ja gar nicht viel getan, nur ein bisschen geholfen, so gut ich konnte. Weshalb ich anrufe . . . Wie fühlst du dich nach . . .« Maria stockte verlegen und suchte nach Worten. »Nach diesen Unverschämtheiten deines . . . So ein dreister Kerl. Niemals hätte ich gedacht, dass er dir am Telefon, vor allen Leuten, eine solche Szene machen würde.«
    »Ich wundere mich bei
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