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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14
Autoren: Émile Zola
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übermäßig hohe Stockwerke, die die junge Frau stolpernd mit ungeschickten und wie zerschlagenen Beinen erklomm. Dann machte er sie darauf aufmerksam, daß sie einen langen Korridor entlanggehen müßten; und sie bog hinter ihm in den Korridor ein, streifte mit beiden Händen tastend die Wände, während sie endlos in diesem Gang dahinging, der zur zum Quai gelegenen Fassade zurückführte. Dann kam wiederum eine Treppe, aber danach ganz oben ein Treppenstück aus knarrenden Holzstufen, die kein Geländer hatten, wackelig waren und steil wie die grob behauenen Sprossen einer Müllerleiter. Oben war der Treppenabsatz so klein, daß sie gegen den jungen Mann stieß, der gerade seine Schlüssel suchte. Endlich schloß er auf.
    »Kommen Sie noch nicht rein, warten Sie, sonst stoßen Sie sich noch mal.«
    Sie rührte sich nicht. Sie keuchte, ihr Herz klopfte, ihre Ohren summten, sie war ganz erledigt von diesem Treppensteigen im Stockdunkeln. Ihr war, als steige sie schon seit Stunden Treppen hoch, inmitten eines solchen Wirrwarrs, einer solchen Verschachtelung der Treppen und Biegungen, aus der sie niemals wieder hinunterfinden würde. Im Atelier gingen schwere Schritte, streiften Hände die Möbel, irgend etwas polterte herunter, es wurde dumpf dazu geschimpft. Die Tür wurde hell.
    »Kommen Sie rein, es ist soweit.«
    Sie trat ein, schaute sich um, ohne etwas zu sehen. Die einzige Kerze schimmerte blaß auf diesem fünf Meter hohen Dachboden, der mit einem Durcheinander von Gegenständen angefüllt war, deren große Schatten sich bizarr von den grau getünchten Wänden abhoben. Sie konnte nichts erkennen, sie blickte hoch zum Oberlicht, gegen das der Regen mit dumpfem Trommelwirbel prasselte. Aber gerade in diesem Augenblick umglutete ein Blitz den Himmel, und der Donnerschlag folgte so dicht darauf, daß das Dach aufzureißen schien. Stumm, kreidebleich, ließ sie sich auf einen Stuhl fallen.
    »Verflixt!« murmelte Claude, der ebenfalls ein wenig blaß geworden war. »Der hat nicht weit weg eingeschlagen… Es war Zeit, hier ist man besser aufgehoben als auf der Straße, was?« Und er ging zur Tür zurück, die er geräuschvoll schloß, den Schlüssel zweimal umdrehend, während sie mit verstörter Miene zuschaute, was er da tat. »So, nun sind wir zu Hause.«
    Übrigens war das das Ende des Gewitters, es waren nur noch ferne Donnerschläge zu vernehmen, bald hörte die Sintflut auf.
    Ihn beschlich jetzt ein Unbehagen, und er musterte sie mit einem scheelen Blick. Sie war anscheinend nicht übel, und todsicher jung, höchstens zwanzig Jahre. Das machte ihn vollends mißtrauisch, obwohl ihn ein unbewußter Zweifel, ein unbestimmtes Gefühl überkam, daß sie vielleicht doch nicht in allem log. Auf jeden Fall, mochte sie noch so durchtrieben sein, sie täuschte sich, wenn sie glaubte, sie habe ihn. Er übertrieb sein mürrisches Gebaren noch, er sagte mit grober Stimme:
    »Na, gehen wir schlafen, da werden wir trocken.« Vor Angst stand sie auf. Auch sie musterte ihn, ohne ihm ins Gesicht zu sehen, und dieser hagere Bursche mit den knorrigen Gliedern, mit dem mächtigen bärtigen Kopf machte ihr noch mehr angst, als sei er einem Räubermärchen entstiegen, mit seinem schwarzen Filzhut und seinem alten kastanienbraunen Überzieher, auf den schon so viele Regenfälle niedergegangen, daß er ganz grünlich geworden war. Sie murmelte:
    »Danke, ich fühle mich wohl so, ich schlafe angezogen.«
    »Wieso angezogen, mit diesen pitschnassen Kleidern! – Stellen Sie sich doch nicht so an, ziehen Sie sich sofort aus.« Und er riß die Stühle um, schob einen halbzerfetzten Wandschirm beiseite.
    Dahinter erblickte sie einen Waschtisch und ein ganz kleines eisernes Bett, von dem er die Fußdecke wegnahm.
    »Nein, nein, mein Herr, machen Sie sich keine Umstände, ich schwöre Ihnen, daß ich dabei bleibe.«
    Auf einmal wurde er zornig, fuchtelte herum und schlug mit den Fäusten um sich.
    »Lassen Sie mich endlich in Ruhe! Wenn ich Ihnen mein Bett zur Verfügung stelle, was haben Sie da noch zu jammern? – Und tun Sie bloß nicht schüchtern, das ist zwecklos. Ich, ich schlafe auf dem Diwan.« Mit drohender Miene war er auf sie zugetreten.
    Von Furcht gepackt, weil sie glaubte, er wolle sie schlagen, setzte sie zitternd ihren Hut ab. Es tropfte aus ihren Röcken auf den Fußboden.
    Er schimpfte weiter. Jedoch schienen ihm einige Bedenken zu kommen, und wie ein Zugeständnis entfuhr es ihm:
    »Damit Sie Bescheid wissen, wenn Sie
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