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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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ich am Leben bin, obwohl er meinen Tod gewünscht hat – das Kind ist ein Unsicherheitsfaktor, es entspricht nicht seinen Absichten.«
    Lange Zeit blieb er stumm. Dann hielt er ihr entgegen: »Aber du doch auch, um deiner selbst willen.«
    Ihr Lachen war ein unmenschlicher, verlorener Laut für ein derart schönes Geschöpf. »Und wie soll ich, um meiner selbst willen, darauf reagieren? Ich werde einen Sohn haben, Paul, und er wird meine Antwort sein.«
    Er schüttelte den Kopf. »Daraus erwächst soviel Böses, und das nur, um eine Tatsache unter Beweis zu stellen, die längst bewiesen ist.«
    »Das ist mir egal«, erklärte Jennifer.
    Nach einer Weile verzog er das Gesicht. »Also gut, dann will ich dich nicht weiter unter Druck setzen. Ich bin deinetwegen gekommen, nicht wegen ihm. Kim hat ohnehin schon seinen Namen geträumt.«
    Ihre Augen funkelten. »Paul, so versteh mich doch. Ich würde tun, was ich zu tun vorhabe, egal, was Kim sagt. Egal, was sie zufällig geträumt haben mag. Ich werde ihn nennen, wie es mir passt!«
    Er lächelte, trotz allem. »Dann bleib dabei und tu es. Aber halte weiter zu uns. Wir brauchen dich.« Und erst diese Worte machten ihr klar, was sie gesagt, worauf sie sich eingelassen hatte. Er hatte sie dazu verleitet, entschied sie, hatte sie absichtlich dazu gebracht, etwas zu tun, das nicht in ihrer Absicht lag. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie darüber nicht böse sein. Wäre dieser erste, dürftige Strohhalm, den er ihr zugeworfen hatte, nur ein wenig stabiler gewesen, dann hätte sie sogar lächeln können.
    Paul stand auf. »In der Kunstgalerie findet eine Ausstellung japanischer Drucke statt. Hast du Lust, sie dir mit mir zusammen anzusehen?«
    Lange Zeit schaukelte sie in ihrem Stuhl hin und her und blickte zu ihm auf, dem dunkelhaarigen, schmächtigen, beinahe zerbrechlich wirkenden Mann, wenn auch nicht mehr so zerbrechlich wie im vergangenen Frühjahr.
    »Wie lautet der Name des Hundes?« fragte sie.
    »Ich kenne seinen Namen nicht. Ich wünschte, ich wüsste ihn.« Gleich darauf erhob sie sich, zog sich den Mantel an und wagte den ersten behutsamen Schritt auf die Brücke.
     
    Finstere Saat eines finsteren Gottes, dachte Paul, während er sich Mühe gab, Interesse an den Drucken aus Kyoto und Osaka aus dem neunzehnten Jahrhundert vorzutäuschen. Kraniche, knorrige Bäume, elegante Damen mit langen Nadeln im Haar.
    Die Dame an seiner Seite war nicht sonderlich gesprächig, aber immerhin befand sie sich hier in der Galerie, und das war kein geringes Zugeständnis. Er erinnerte sich an den jammervollen Anblick, den sie vor sechs Monaten geboten hatte, als Kim sie in einer verzweifelten Anstrengung mit der ungezügelten, lodernden Macht, die dem Baelrath innewohnte, aus Fionavar hierhergebracht hatte.
    Darin bestand, wie er wusste, Kims besondere Gabe; im Besitz des Kriegssteins und in den Träumen, durch die sie des Nachts wandelte, weißhaarig, wie Ysanne es gewesen war, zwei Seelen in der Brust und das Wissen um zwei Welten. Das musste, dachte er, schwer zu ertragen sein. Der Preis der Macht , wie Ailell, der Großkönig, ihm gesagt hatte, in jener Nacht, als sie zusammen Ta´hael spielten. Diese Nacht war das Vorspiel zu den drei Nächten gewesen, die ihm alles, aber auch alles abverlangt hatten. Das Tor zu dem, was er nun war, Herr des Sommerbaums, was immer das bedeuten mochte.
    Was immer das bedeuten mochte. Inzwischen hatten sie das zwanzigste Jahrhundert erreicht: schon wieder Kraniche, lange schmale Gebirgslandschaften, niedrige Boote auf breiten Flüssen.
    »Die Themen ändern sich kaum«, bemerkte Jennifer.
    »Kaum.«
    Er war zurückgesandt worden, er war Mörnirs Antwort, doch er besaß keinen Ring, durch den er hätte brennen können, keine Träume, in welchen er den Geheimnissen des Gewirks nachzuspüren vermochte, nicht einmal ein Horn, wie es Dave gefunden hatte, keine Himmelsweisheit wie Loren, keine Krone wie Aileron, nicht einmal – und es fröstelte ihn bei dem Gedanken – ein Kind in sich, wie diese Frau an seiner Seite.
    Und doch. Im Geäst des Baumes hatten sich Raben auf seiner Schulter niedergelassen: Gedanke und Gedenken hießen sie. Auf der Lichtung war eine Gestalt erschienen, kaum zu erkennen, aber er hatte das Geweih auf ihrer Stirn erblickt, und er hatte gesehen, wie sie sich vor ihm verneigte. Weißer Nebel war durch ihn hindurch zum Himmel aufgestiegen, wo in der Neumondnacht ein roter Mond dahingezogen war. Es hatte geregnet. Und dann
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