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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Nach wie vor haftete allem der Gestank des Schwans an. Sie sah die Welt durch den Filter des lichtlosen Starkadh. Welche Stimme, welche Augen, grünlich verzerrt wahrgenommen, konnten die Macht Rakoths brechen, der sich durch ihren Geist wie durch ihren Körper gewühlt hatte, als sei sie, die dereinst geliebt und unversehrt gewesen, nichts als ein Haufen Schlacke?
    Sie wusste, noch war sie bei klarem Verstand, doch sie wusste nicht, warum.
    Nur eines trieb sie voran, in eine ungewisse Zukunft. Nichts Gutes war es, wie könnte es anders sein, doch es war Tatsache, ein Unsicherheitsfaktor, und es gehörte ihr. Sie duldete keinen Widerspruch.
    So kam es, als Kim den drei anderen zum ersten Mal davon erzählt hatte und sie im Juli gekommen waren, um mit ihr darüber zu diskutieren, dass Jennifer aufgestanden und aus dem Zimmer gelaufen war, und seit jenem Tag hatte sie Kevin und Paul und Dave nicht mehr gesehen.
    Sie war entschlossen, dieses Kind auszutragen, das Kind Rakoth Maugrims. Sie hatte sich vorgenommen, bei der Geburt zu sterben.
     
    Sie hätte ihn nicht hereingelassen, aber sie sah, dass er allein war, und das kam so überraschend, dass es sie veranlasste, die Tür aufzumachen.
    Paul Schafer sagte: »Ich habe dir eine Geschichte zu erzählen. Bist du bereit, sie zu hören?«
    Es war kalt auf der Veranda. Nach kurzem Zögern trat sie beiseite, und er kam herein. Sie schloss die Tür und begab sich in den Wohnraum. Er hängte seinen Mantel in den Flurschrank und folgte ihr. Sie hatte im Schaukelstuhl Platz genommen. Er setzte sich auf die Couch und betrachtete sie, die immer noch hochgewachsen und schön war, immer noch anmutig, wenn auch nicht mehr schlank, sieben Monate schwanger mit dem Kind. Doch sie trug den Kopf hoch erhoben, und ihre weit auseinander liegenden grünen Augen waren unversöhnlich.
    »Letztes Mal habe ich euch stehengelassen, und ich werde es wieder tun, Paul. Ich lasse mich nicht von meinem Vorhaben abbringen.«
    »Ich habe gesagt, eine Geschichte«, wiederholte er leise. »Dann erzähl sie schon.«
    Daraufhin berichtete er ihr von dem grauen Hund auf den Mauern von Paras Derval und von der abgrundtiefen Qual in seinen Augen; er erzählte ihr von seiner zweiten Nacht am Sommerbaum, als Galadan der Andain, den sie auch kennen gelernt hatte, seinetwegen gekommen war, und vom neuerlichen Erscheinen des Hundes und von dem Kampf, der dort im Mörnirwald stattgefunden hatte. Er erzählte ihr, wie er hilflos am Baum des Gottes festgebunden gewesen war, wie er den roten Mond hatte aufgehen sehen und wie der graue Hund den Wolf aus dem Wald vertrieb.
    Er erzählte ihr von Dana. Und Mörnir. Den Mächten, die sich in jener Nacht gezeigt hatten, als Antwort auf die Finsternis im Norden. Seine Stimme war tiefer, als sie in Erinnerung hatte; etwas hallte in ihr nach.
    Er legte ihr dar: »Wir stehen in dieser Sache nicht allein. Mag er uns auch am Ende in Stücke reißen, ohne Widerstand wird das nicht abgehen, und was immer du gesehen oder erlitten hast an jenem Ort, so muss dir doch klar werden, dass er das Webmuster nicht genau nach seinem Wunsch gestalten kann. Sonst wärest du jetzt nicht hier.«
    Ihre Augen waren wie das Meer unter verhangenem Himmel. Seine Worte holten ihre eigenen ins Gedächtnis zurück, die sie in Starkadh gesprochen hatte: Von mir bekommst du nichts als das, was du dir nimmst, hatte sie gesagt. Aber das war vorher gewesen. Vor dem Zeitpunkt, da er sich aufgemacht hatte, ihr alles zu nehmen – bis Kim sie dort herausgeholt hatte.
    Sie hob ein wenig den Kopf. »Ja«, fuhr Paul fort, die Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. »Ist dir das klar? Er ist stärker als wir alle, stärker gar als der Gott, der mich zurückgesandt hat. Er ist stärker als du, Jennifer, oh, weitaus stärker, das bedarf keiner gesonderten Erwähnung, bis auf eines: Er kann dir nicht nehmen, was du bist.«
    »Ich weiß«, entgegnete Jennifer Lowell. »Das ist der Grund, warum ich sein Kind austragen werde.«
    Er lehnte sich zurück. »Dann wirst du seine Dienerin.«
    »Ganz und gar nicht. Höre mir nun gut zu, Paul, denn auch du weißt nicht alles. Als er mich allein ließ … . danach, hat er mich einem Zwerg überlassen. Blöd war sein Name. Ich war als Belohnung gedacht, als Spielzeug, aber er sagte etwas zu diesem Zwerg: Er sagte, ich müsse getötet werden, und dafür gebe es einen triftigen Grund. « In ihrer Stimme lag kalte, eiskalte Entschlossenheit. »Ich werde dieses Kind austragen, weil
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