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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
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einen Becher zu viel getrunken. Er sah einen Querbalken und stützte sich dankbar darauf. Seine Hand ertastete ein angenageltes Hufeisen. Er war also an der Schmiede. An den fetten Schmied mit dem ausgefransten Ziegenbart konnte er sich erinnern, doch wo war die verdammte Schmiede gewesen? Sein vernebelter Blick suchte die Umgebung ab.
    Links von ihm säumten Häuser eine Gasse. Er meinte, entferntes Rauschen und Plätschern zu hören. Das konnte nur der Gebirgsbach sein. Dorthin wollte er nicht. Also hielt er sich rechts. Hier wurde der Pfad von schneebedeckten Büschen begrenzt, die wenig Halt boten. So stolperte er mehr, als dass er ging, und fand sich unvermittelt auf einem Platz wieder. Verwaiste Gatter ragten aus dem Schnee. Ein Tor klapperte, eine Eiche in der Mitte des Platzes bog sich und ächzte unter dem Sturm.
    Ein Grinsen, eher noch einfältiges Lächeln, glitt über sein Gesicht, denn an den Markt- und Gerichtsplatz mit dem Henkersbaum erinnerte er sich. Von hier aus war es nicht mehr weit zur Gasse der Talermädchen.
    Er atmete durch, fixierte sein Ziel mit den Augen und humpelte leicht nach vorn gebeugt los. Sein Oberkörper sank ungewollt immer tiefer. Um nicht zu stürzen, beschleunigte er, so gut es ging, seine Schritte. Genau unter der Henkerseiche knickte sein linkes Knie weg. Er strauchelte, konnte sich aber an einem Ast über ihm festhalten und trudelte wie ein nasser Sack hin und her. Schnee peitschte ihm nicht nur ins Gesicht, er fiel zur Abwechslung in großen Fladen auf ihn nieder. Er ließ den Ast los, umklammerte den Stamm, blinzelte Schnee weg und lallte in die Baumkrone: »War ganz schön nass eben, aber anderen ergeht’s bei dir viel schlechter. Kannst aber nichts dafür. Dir geht’s wie mir: Wir bringen den Tod! Pass auf dich auf, Kamerad!«
    Fast schlief er an die Rinde gelehnt ein, aber plötzlich streckte er sich. Ihm war, als hätte der Baum ihm Kraft gegeben. Zumindest sah er wieder klarer. Freundschaftlich klopfte er noch einmal an den Stamm, hinkte zielsicher über den Platz und bog nach links ab. Hütten säumten seinen Weg und große Schneehaufen. Hier mussten die Bewohner ihr Dach ständig vom Schnee befreien, wollten sie verhindern, dass es einbrach. Hier wohnten die Lohnarbeiter, die gegen Bezahlung alles machten, und am Ende des Weges wohnten die Talermädchen, die gegen Bezahlung auch alles machten. Nur, etwas machen zu wollen und etwas machen zu dürfen, wofür man entlohnt wurde, waren zwei verschiedene Dinge. So war diese Gasse gleichzeitig auch Heimstatt für Wilderer und Diebe. Hier trieben sich nur zwielichtige Gestalten herum. Ehrliche Bürger, die nicht gerade eine Verabredung mit einem Talermädchen hatten, mieden diese Gegend. Daher war sie für ihn wie geschaffen. Gleich würde er …
    Er bemerkte eine Bewegung hinter sich und drehte sich um. Der Knüppel, der ihn hatte zu Boden schicken sollen, streifte nur noch seine Schulter. Er keuchte auf – mehr vor Schmerz im Bein als in der Schulter –, hörte Stiefel im Matsch klatschen und ließ seine rechte Faust gegen das Kinn des Knüppelschwingers krachen. Mit einem Laut, der wie ein Grunzen klang, trudelte der rückwärts und ging zu Boden. Rhonan hatte bereits wieder die Richtung geändert. Jedes Schwanken war verschwunden. Ein Dolch blitzte in seiner linken Hand auf.
    »Verschwindet!« Seine Stimme war fest wie sein Stand.
    Die übrigen Angreifer hielten verdutzt inne.
    »Immer noch einer gegen drei! Wer ihn umhaut, kriegt seine Stiefel«, brüllte einer. Sie nickten sich zu, schwangen ihre Knüppel und drangen gemeinsam auf ihn ein.
    Er wich zur Seite aus, rammte einem von ihnen dabei die Klinge in die Schulter und riss sie nach einem Ruck zur Seite wieder aus der Wunde. Der Verwundete jaulte auf, griff sich an den Arm, stieß derbe Verwünschungen aus und brachte sich außer Reichweite.
    Der Tritt eines anderen gegen seine Hüfte zwang Rhonan halb in die Knie. Während sein Dolch in einem Fellmantel abrutschte, bekam er mit der rechten Hand einen Arm zu fassen und riss ihn kraftvoll nach außen. Es knackte, und Gebrüll hallte durch die Nacht. Ein Knüppel traf seinen Arm. Erneut keuchte er auf, machte aber gleichzeitig einen Satz nach vorn, rempelte den letzten Angreifer mit der Schulter an und stieß dem Taumelnden seinen Dolch in den Leib. Der schrie auf, krallte ihm die Finger in die Schultern, und umschlungen wie ein Liebespaar gingen beide zu Boden. Laut stöhnte Rhonan auf, da sein abgewinkeltes
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